Bückeburg, 9. März 1776
Der Brieftext wurde anhand des Originals kritisch geprüft.
Johann Gottfried von Herder
Jakob Michael Reinhold Lenz (Straßburg)
LKB
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Mit Schimpf u. Schande, lieber Lenz, schicke ich Euch – so spät – und doch nur einige Bogen Deiner Komödie – und noch ohne Geld. An demselben Tage, da sie mir kamen, kam Dein Brief, daß die La Roche v. Rochau werden sollte u. Du siehst selbst, Bruder, die Ändrung ist nicht möglich. Welcher Wahn oder Argwohn ists auch ändern zu wollen, als einer so weit hergesuchten Ursach. Wie die Ia Roche erscheint, ists ja wie ein Engel u. was gehört der andre hieher –? Nothfalls laß mich zeugen u. es bei ihr verantworten: das ganze Ding müßt umgedruckt werden u. welcher Kerl thut das? Dazu hab ichs (um nicht neu Gerede zu erwecken) durch einen andern (Zimmermann) besorget: daher die Trödelei, darüber ich mich genug geärgert habe. Der Kerl von Buchh. wollts nicht vor der Meße erscheinen laßen u. dazu hatte er wohl Recht: im Grunde war mir das auch lieb,
aber
mit den letzten Bogen sollst Du gewiß das Geld haben, den Bogen 2. Duk. so hab ichs
ihm
gegeben. Ich ärgere mich, daß ich in der ersten Kommission so läßig bestehe, liegt aber nicht an mir.
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Dank für Deine Kantate u. für Dein Wort über meine Apokalypse. Jedes Wort von Dir ist mir wahrhaftig Laut des Geistes, Zittern des großen Sensoriums auf Einer Saite. Auch Deine unorthodoxe Kantate hat uns enzückt. Mein Weib liebt dich 3.fach als Bruder u. mein Kleiner grinzt den Namen Lenz, wenn ich ihm Dein Schattenbild zeige, mit einem so feinen Ton aus, wie Du seyn mußt.
Die Zurückziehung aus Gött. ist wahre Gotteserrettung. Den Tag, da die zweite Antwort aus London kam (mich ging die Sache von Anfang nicht an u. ich wünschte, daß sie zurückginge) kam mir Göthens Brief aus Weimar zur dortigen Gener.-Superint. Der Herzog hat feierlich bei mir angefragt, ich sage Ja u. nun stockts wieder – stockts! Gott wird mir helfen.
Und Du, was zitterst Du, wie ein Irrlicht zu erlöschen. In Dir ist wahrlich Funke Gottes, der nie verlöscht u. verlöschen muß. Glaube! –
Ach u. schriebst Du mir doch manchmal ein
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Wort, was Du machtest, würktst, dichtetst, sorgtst. Wie gern wollt ich Dir näher leben. Auch sehn wir uns einmal wahrlich!
Ehgestern ging ich an meine Urkunde in Druck u. Nebel; am Tage da Dein Brief kam. Er
zer
schoß einen Stral hindurch! Gebe Gott daß ich thue, was ich thun soll.
Hast Du die Meinungen des Layen geschrieben? Ich bitte Dich um Deines Herzens willen, sag mir.
Gott mit Uns dort am Ufer des Rheins u. hier am Bach Krith, wo die Raben mich hacken statt mich zu ernähren. Schadt aber nichts und wird helfen!
H.

9. Mz.
Provenienz
1. Blatt: Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 32, Nr. 15; 2. Blatt: Latvijas Valsts Vēstures Arhīvs, Riga: Fonda 7363, Aprakst 1, Lietas 734, Bl. 3.