Weimar, April 1776
Entwurf
Der Brieftext wurde anhand des Originals kritisch geprüft.
Jakob Michael Reinhold Lenz
Luise König (Straßburg)
LKB
Wie steht es liebe Freundin? Wollen Sie mir denn kein einig Wort schreiben? Ich hätte Ihnen tagelang zu erzehlen von alledem was ich gesehen und gehört und was seit der Zeit mit mir vorgegangen. Ich schweige aber auch wenn Sie mir schweigen. Ihre Bedenklichkeiteil sind (verzeyhen Sie mir) fast ein wenig geziert. In Deutschland wenigstens denkt das Frauenzimmer in dem Stück freyer glücklicher und erlauben Sie mir zu sagen vernünftiger Werfen Sie also ich bitte einmal das Vorurtheil des vorigen Jahrhunderts über den Zaun.
Mein Herz würde hier auf Rosen liegen, wenn ein Gedanke an Strasburg nicht feurige Kohlen draus machte. Melden Sie mir doch ich bitte, allenfalls durch Röderer einige Neuigkeiten von dort aus, ohne die ich vergehen muß, da ich hier den ganzen Tag im Strudel des Hofs wie im beständigen Taumel lebe.
Lenz.
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am linken Rand, vertikal
left
Ist Fräulein von Waldner noch in Strasburg? ist die Hochzeit schon vor sich gegangen? – Ich habe ihre Cousine hier neulich eine Oper spielen sehen, aber noch nie das Herz gehabt sie anzureden. Warum, ist mir selber unbegreiflich. Aber es ist mir unmöglich. Sonst kenn’ ich hier nun alle.
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am linken Rand, vertikal
left
Provenienz
Kraków, Biblioteka Jagiellońska, Lenziana 5, Nr. 19. Der Brief fand sich im Lenz-Nachlass; wurde daher wahrscheinlich nicht abgeschickt.