Zürich, 7. und 13. November 1776
Der Brieftext wurde anhand des Originals kritisch geprüft.
Johann Caspar Lavater
Jakob Michael Reinhold Lenz (Weimar)
LKB
2
Gedruckter Text:

Ich befinde mich abermal in der mir unangenehmen Nothwendigkeit, gegen alle und jede, welche die Gütigkeit hatten, mich mit Zuschriften zu beehhren, mich schlechterdings insolvendo zu erklären. So viel ich mich auch befließ, die eingehenden Briefe sogleich zu beantworten – Hundertmal war’s nicht möglich. Unterdeß haben sich nur im Laufe dieses Jahres die unbeantwortet gebliebenen Briefe dergestalt gehäuft, daß ich gewiß 3. volle Tage brauchte, sie alle nur wieder zu lesen – wie schlechterdings unmöglich in meiner Lage – wo ich kaum eine Stunde mir allein versichern kann, nur diese 3. Tage zu finden, wie vielweniger, Wochen zur Antwort. Also, bitt’ ich alle meine Freunde und Freundinnen, Gönner und Gönnerinnen in der Nähe und Ferne – mich gütigst zu entschuldigen und zu entschlagen. Ich darf und will keiner Seele verbieten an mich zu schreiben; aber alle bitten, ohne Drang des Herzens und des Bedürfnißes nicht zu schreiben, und, (aüsserste Nothfälle ausgenommen,) keine Antwort zu erwarten – und dann auch noch bitten, die Briefe bis
Schafhausen
oder
Basel
zu frankiren. Man kann leicht denken, Einer kann nicht so leicht tragen, was 300. bis 400. tragen können. Man kann sich vorstellen, wie sich das Postgeld in einem Jahre häufen, und wie’s mir schwer fallen muß, für so manchen oft äusserst unbedeutenden Brief 30 bis 40 kr. zu bezahlen; oft Pakete mit 1, 2, 3. fl. einzulösen. Man verzeihe; aber ich bin genöthigt, und es ist meine Pflicht – hierüber Maaßregeln zu nehmen, und alle Briefe, die nicht bis Schafhausen oder Basel frankirt sind, uneröffnet zurückzuschicken. Ich weiß, einzele werden drunter leiden. Ich will’s denen zu vergüten trachten. Aber, wer mich liebt, und sich in meine Lage denkt, der wird die Sache äusserst billig finden.

Zürich, den 7ten Novembr. 1776.


Johann Caspar Lavater

Mein lieber Lenz, mit einem Schwall unzähliger Briefe flog ich vor ein paar Tagen auf Baden u: las auch alle Deine wied. durch. Ach! wie wenig hab ich Dir geantwortet u. Zeit zu antworten … Könntest Du nicht zu uns kommen? wenig könntest Du mich, wenig könnt ich Dich genießen. Doch mehr wie so. Vielleicht hättst Du Quartier bei Statth. Kaufm. in Winterthur. Vielleicht hättst Du Ruhe u: Genuß. viel kann ich Dir nicht versprechen. Ich versprech überall nichts mehr. Geld hab ich keins. Ich bin arm in einem schönen reichen Hause – wo Du etwa auch Tage u: Nächte ruhen u: mir helfen kannst. Du kämst über Emmendingen. Wir alle haben Augenblicke zu wägen – doch Freundesanblick trägt uns. Komm u. siehe. So antwort ich auf alle
1
am rechten Rand, vertikal
right
Johann Caspar Lavater
Deine Briefe. Adieu. Den 13. Nov. 76 am Krankenbette meines Weibchens. L.
Johann Caspar Lavater

2
an Lenzn.
Johann Caspar Lavater
1
am rechten Rand, vertikal
right
Johann Caspar Lavater
Johann Caspar Lavater
Provenienz
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 32, Nr. 31.