Bern d. 9ten August 1777.
Da bin ich nun durch wunderbare Schicksale und Abentheuer, mit denen ich Sie und Ihre Frau Gemalinn mündlich zu unterhalten gedenke – von meinem Reisegefärthen getrennt und habe vor der Hand statt Italiens noch nach Bern linksum gemacht, obschon ich bereits am Fusse des St. Plomb war; Hier leb ich immer noch als Ihr dreyfacher Schuldner – auch in Ansehung der schätzbaren Bekannten die mir Ihr Brief an Herrn Wilhelmi verschafft, in einer Stadt wo mir die Merkwürdigkeiten allein zwey Tage genommen haben. Mein glücklicher Stern waltet immer fort über meiner Reise und zu dem hoffe ich, daß ich Sie und Ihre verehrungswürdige Hälfte noch in diesem Monath – vielleicht gar auf einem der reitzendsten Berge in Zürichs Nachbarschaft, wohin ich künftige Woche abzureisen gedenke wiedertreffen werde.
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Ich hoffe Herr Pfarrer Lavater wird Ihnen den erneuerten Wechsel, zu dem mich Ihr gütiges Anerbieten in Schintznach dreist genug gemacht hat, zugesendet haben. Verzeihen Sie, Werther! einem Reisenden und noch dazu einem reisenden Poeten in dem Morgen seiner Autorschaft daß er mit der Genauigkeit die er wünschte und Sie fordern können nicht Termin halten konnte, auch bitte ich, meiner nicht zu schonen, sondern mir bei Bezahlung Ihres allzugütigen Darlehens, Handlungsprocente vorzuschreiben. Auch will ichs Ihnen lieber vorausgestehen, daß ich fürchte, die Bezahlung werde sich gar noch einen Monath nach dem zuletzt angesetzten Termin, aber gewiß nicht länger verziehen können (auf welchen Fall den ich noch nicht bestimmt vorhersehe, ich aber den Wechsel wenn Sie es verlangen umschreiben will) weil die Herren Buchhändler mit denen ich in Traktaten stehe weit von mir entfernt sind und die Remessen zuweilen nicht so prompt gehen als mans verlangt. Ich muß mich Ihrer Güte und Nachsicht in Ansehung alles dessen gänzlich überlassen, hoffe aber durch den Erfolg Ihnen zu beweisen, daß ein Dichter vielleicht mehr als jeder andere das Zutrauen seiner Freunde nicht zu mißbrauchen, sich verbunden fühlt.
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Herr Wilhelmi hat mir die angenehme Neuigkeit gesagt daß Sie den Kaiser in Ihrem Kamin gehabt, ein solcher Schinken fällt einem nicht alle Tage auf den Herd und ich gratuliere Ihnen und Ihrer Frau Gemahlinn zu einer Ehre, die der grand Voltaire
mit großen Zurüstungen die er in Ferney gemacht, als ich in Genf war, und einem Compliment das eines starken Geistes würdig war, sich nicht hat erwerben können. Vermutlich wird er sich darüber, wie an unserm Herrgott, der ihm auch viel Streiche wieder seine Erwartungen gespielt haben mag, durch eine Plaisanterie zu rächen suchen.
Möge der Himmel alle mögliche Koketterien um Sie verschwenden, Sie und Ihre Likoris noch in diesem herrlichen Monath zu einer Spatzierfahrt nach Zürich zu verführen. Oben auf dem Gipfel des Rigi werd ich Ihnen einige Anmerkungen die ich über Ihr der wolhtätigen Gesellschaft vorgetragnes allerphilanthropinischtes Projekt zu Pappier gebracht, vorlesen und wie mit doppelten Kräften so mit doppelter Achtung und Ergebenheit seyn Ihr
zugewandtester
Lenz.
Lenz.