Zürich, August 1777
Der Brieftext wurde anhand des Originals kritisch geprüft.
Jakob Michael Reinhold Lenz
Gertrud Sarasin und Jakob Sarasin (Basel)
LKB
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Denken Sie sich lieben Freunde! einen Menschen der über Stock und Stein, über Berg und Thal durch dick und dünn nach Zürich kommt und überall hören muß
Wären Sie ein Paar Tage eher gekommen, hätten Sie Herrn Sarasin und seine Frau hier angetroffen
Ey doch! sag ich denn mit einem giftigen Lachen über mich selbst und mein Schicksal das mich auch keine Silbe von alledem wissen noch ahnden ließ, hätt ich sie wirklich angetroffen wenn ich eher gekommen wäre?
Sie sind recht vergnügt gewesen, sie sind bey mir gewesen sagte Herr Geßner, sie sind bey mir gewesen sagt Lavater und erzehlt mir vieles zwischen den Kaiser und Ihnen sie sind hier recht lustig gewesen, sagt Herr Escher aus dem Vollenhofe – – und ich
Ja und ich – der sogern Ihren
Cicerone
zum Rigiberg hinauf gemacht, Ihnen von dort herab die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit – – verachten gelehrt hätte gegen das was Sie da gesehen haben würden
Kurz ich kann für Grimm kein Wort mehr schreiben Leben Sie wohl!
Lenz.


Kehren Sie indessen doch um

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Tausend Dank für Ihre beyden Briefe die mir als eine wahre Herzstärkung – jetzt erst von Schlosser zugekommen sind.

Wie Freundinn fühlen Sie die Wunde
Die nicht dem Gatten blos, auch mir das Schicksal schlug
Mir der nur Zeuge war von mancher frohen Stunde
Von jedem Wort aus ihrem Munde
Das das Gepräg der innern Grösse trug
Ganz von der armen Welt vergessen
Wie offt hat sie beglückt durch sich
Auf seinem Schooß mit Siegerstolz gesessen
Ach und ihr Blick erwärmt auch mich.
Auch ich auch ich im seeligsten Momente
Schlug eine zärtliche Tangente
Zur grossen Harmonie in ihrem Herzen an
Mit ihrem Bruder, ihrem Mann
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Wie hob mich das Gefühl auf Engelschwingen
Zu edlern Neigungen empor
Wie warnt es mich bey allzufeinen Schlingen
Daß ich nie meinen Werth verlohr
Mein Schutzgeist ist dahin, die Gottheit die mich führte
Am Rande jeglicher Gefahr
Und wenn mein Herz erstorben war
Die Gottheit die es wieder rührte
Ihr zart Gefühl das jeden Mißlaut spührte
Litt auch kein Wort, auch keinen Blick
Der nicht der Wahrheit Stempel führte
Ach diese Streng’ allein erhält das reinste Glück
Und ohne sie sind freundschaftliche Triebe
Ist selbst der höchste Rausch der Liebe
Nur Mummerey die uns entehrt
Nicht ihres schönen Namens werth.

Wie wenn ich itzt mein künftig Glück beschriebe?
Wie wenn mir das an Ihnen bliebe
Fürtrefliche! was ich an ihr verlor
Wenn mir die Seelige in der Verklärten Chor
Sie selber dazu auserkohr?

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O womit dankt ich ihr und Ihnen
Womit, womit könnt ich dies Glück verdienen?
Der Freundschaft unverdächtig Glück
Die nur dem Werth den sie am andern kannte
Und seiner Dauer nur den liebevollen Blick
Und mit ihm Himmelsfreuden sandte

Ich muß abbrechen weil die Post eilt. Mein Lustspiel wird eine Weile ruhen müssen, bis ich wieder lustiger bin, denn ach wir armen Phantasten können uns so wenig selber Gesetze vorschreiben als sie von andern annehmen. – Erhalten Sie nur, ich flehe, die Gesellschaft in guter Laune, bis mir auch da etwas zukommt.
Herr v. Hohenthal wird, hoffentlich nicht versäumt haben, Ihnen seine Aufwartung zu machen. Er kränkelt zu viel, als daß er wagen dürfte in der Hitze nach Welschland zu gehen. Tausend Empfehlungen von Ihren hiesigen Freunden insonderheit Lavater.
Die ich Ihrer theuresten Familie gleichfalls von mir zu versichern bitte.
Provenienz
Basel, Staatsarchiv, PA 212 F 11, 27, 10, Nr. 7.