Winterthur, 12. Dezember 1777
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Jakob Michael Reinhold Lenz
Jakob Sarasin (Basel)
LKB
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Winterthur. Den 12.ten Dcbr. 1777.



Eine kleine Streiferey an den Bodensee herab, durch St. Gallen nach Appenzell von der ich eben wiederkehre hat die Nachricht von Empfang des durch Sie gütigst übermachten Coffres verzögert. Mich freut Ihre Entbindung mit der Frauenzimmerschule, die ich um sie ihrer Vollkommenheit näher zu sehen immer weiter von
dem Plan
der Zürichschen entfernt wünschte. Wir haben unter andern mit Hn. von Salis radotirt (schon in Schinznach, und itzt wieder im Valtelin) über eine Moralische Kochkunst, den Bedürfnissen des Körpers und der Jahrszeit angemessen, wozu denn freylich einige Kenntniß des Menschlichen Körpers und der Natur in Tier- und Pflanzenreich vorausgesetzt würde, die auch in hundert anderen Fällen, vorzüglich bey Erziehung der Kinder Dienste thun könnte. Allein ein Lehrer von dieser Art,
NB
. der sich den jungen Zöglinginnen verständlich machen könnte, wird sich auf der Baselschen Akademie wohl schwerlich finden. Und doch sind auch schon zur Selbsterhaltung die Medicinischen Kenntnisse, wären sie gleich nicht weiter als aus
dem Arzt,
Tissot und
Plattner
(ein Buch das ich nicht genug empfehlen kann) abgeschöpft, unentbehrlich. Diese werden gewiß in hundert Fällen bessere Dienste tun, als der Jgfr. Goswyl Commentar über Gellerts Oden (die ich übrigens weder tadle noch überflüssig finde) denn wie oft Moral nur von Diät abhängt, ist noch bey weitem nicht genug eingesehen geschweige ausgeübt worden.
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Plattners Handbuch der Physiologie, teutsch, in einem sehr angenehmen Styl, zu Leipzig herausgekommen

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Es ist ein Pasquill auf Lavatern und seine Freunde herausgekommen, in das ich nur flüchtige Blicke gethan und zu meinem grossen Leidwesen finde daß man sehr säuberlich mit mir umgegangen. Die Herren mit ihrer fingerlangen Vernunft wollen es dem lieben Gott durchaus nicht zugestehen, daß er über Bitten und
Verstehen
thun könne. Doch läuft unter dem
niedrigsten
Zeuge, manche nöthige Wahrheit mit unter
Empfehlen Sie mich der Frau Engelwirthin nebst den kleinen künftigen Bewohnern der Engelburg.
Herren Rathschreiber Iselin machen Sie doch gelegentlich auch von mir viel Empfehlungen u. Glückwünsche zu der endlich beglückten Heurath seiner Dem. Tochter, die ich noch oft in Gedanken das Schweitzerliedgen in Meyenfels singen höre. Kaufmann und die Seinen empfehlen sich Ihnen allen.
Die Einrichtung seiner künftigen ländlichen Haushaltung beschäftigt ihn – sonst führen wir alle ein sehr ruhiges u. still fröhliches Leben in Hofnung. Lavater wird Ihnen geschrieben haben; ich komme seit meiner letzten Glarnerreise fast nie wieder nach Zürich
Lenz.
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Provenienz
Basel, Staatsarchiv, PA 212 F 11, 27, 10, Nr. 14.