Cronstadt. d. 20ten
May
1780.Lieber Bruder!
Du wirst mir verzeyhen daß ich diese Antwort des Obristen Ribas an Dich, so wie die an Papa solang aufgehalten und noch mehr daß ich beyde erbrochen habe. Es ist unmöglich Dir die gegenwärtige Lage meiner Umstände zu sagen, ich bitte Dich also Dein Urtheil darüber zurückzuhalten. Ich wollte Dir den Brief gar nicht schicken, ich fürchtete aber Du würdest den Obristen einer Unhöflichkeit fähig halten, welches sein Fehler nun wohl gewiß nicht ist. – Die Ursache des Briefes mochte wohl mit in der Offerte liegen, deren ich letzthin in einem Briefe an Dich gedacht, und um derentwillen ich jetzt hier bin. Soviel kann und darf ich Dir nur sagen, alles ist am Rande der letzten Gährung. Drey Aussichten unter denen ich nur eine wählen kann – und bey welchen allen vorsichtig verfahren werden muß. Ich habe Deinen Brief an eine bewußte Dame der Frau Obristin K. gegeben und sie kann eine sehr wirksame Mittelsperson zu meinem Glück werden.
Alles geht und muß gehen und eine dieser Offerten der andem durchhelfen, wenn es mir nur an dem Nothwendigsten nicht fehlt, am Gelde. Denn in welcher verzweiffelten Situation mich dieser Mangel trift, da er mich zwingt, eben da unthätig zu seyn, wo oft ein Schritt alles entschieden haben würde. Meine Freunde können mich länger nicht unterstützen, sie haben das letzte getan mich zu beschämen. Wär es möglich daß Du nur 25 Rubel
Vorschuß
noch mir – und zwar aufs baldigste auftreiben könntest. Stelle Dir vor, welch eine Quaal mein ganzes verhunztes Leben mir bereiten würde, wenn alles sich vereinigte mir aus der Schmach eines verunglückten Gesuchs herauszuhelfen und ich bloß aus Ohnmacht oder Mißtrauen meiner Verwandten die wenigen Schritte die man mir übrig lassen mußte, nicht thun konnte. Du hast gut rathen, wie Papa, von augenblicklichem Annehmen der ersten besten Information oder was anders, beste theureste, Ihr bedenkt nicht daß ich damit alles andere verderbe. Informiere wie ein Schulmeister und hoffe dann noch jemals wieder zu gefallen. Und ohne zu
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gefallen, ists doch unmöglich zu einem honetten Platz zu kommen, wo du auch mit einiger Ehre arbeiten kannst. Also glaub doch nicht, daß der Vorschuß vergebens ist, denn ich versichere Dich, daß das Gefallen von dem ich rede, nicht durch Müssiggang sondern durch Arbeit – erhalten wird – mit dem einzigen Unterschied, daß man dafür keine Bezahlung verlangen darf. Schreit nur nicht, Lieben! was denn da herauskommen soll wenn man nichts verdient etc. Es heißt hier mehr als jemals, wer seine Hand an den Pflug setzt und zurückzieht – entweder ich muß auf der Bahn fortfahren, oder ich hätte sie nie betreten sollen. Ich bitte Dich, schick diesen Brief Papa, mag auch da herauskommen, was wolle. Er wird wenigstens soviel Zutrauen zu mir haben, daß ich weder Verschwender noch Müssiggänger genug sey, auf dieser Laufbahn fortzugehen, wenn ich nicht wüßte, daß sie zum Ziel führen würde. Die Stetigkeit mit der ich auf dem Antrag im Landkorps beharrt bin, hat mir weder geschadet, noch wird sie mir in der Zukunft schaden, da wenigstens jetzt ganz Petersbg. überzeugt ist, daß das Fehlschlagen desselben mir bei dem Zusammenstoß von Umständen nicht zur Unehre gereichet. Mündlich könnt ich Dir 1000 Sachen mehr drüber sagen, wenigstens ich
habe mich über den Obristen nicht zu beklagen, obschon er mich 100 Rbl. gekostet – vorjetzt nicht mehr, denn littera scripta
– – –es giebt Körbe selbst, die uns mehr helfen als Bewilligungen– der einzige Fehler auf seiner Seite – (wenn es sein
Fehler ist) wäre der, daß er mir sie nicht eher gegeben.
Noch einmal lieber Bruder, sage Igelstr. nichts von dem, was ich von Dir zu wissen begehre und glaube mir doch, daß ich nicht ganz mit der Stange im Nebel herumfahre. Es hat Ursachen die ich Dir nicht sagen kann schriftlich. Antworte mir aber ja aufs schleunigste, damit ich Papa schreiben kann und andern Personen, an die es schon lang nöthig war.
Gott warum machen doch 40 Meilen solchen Unterscheid – Ich kann und. darf jetzt nichts sagen, als schick mir itzt so schnell
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als möglich 25 Rb. und ich bin auf immer geholfen, und Du und Behrens in Riga bekommt euer Geld vor dem Winter wieder. Kannst Du nicht, so kann Papa vielleicht; bitt ihn seinen Sohn aus dem Schiffbruch seiner Ehre und seines Glücks zu retten. Noch einmal, dies ist die letzte Foderung, die ich an Papa und Dich thue. Und meine Gründe dazu zu sagen ist – unmöglich. Ich denke Du wirst den Sinn dieser Worte leicht einsehen, sobald Du nur ein wenig die gegenwärtige Lage der öffentlichen und besondern Angelegenheiten eines jeden allhier – überdenkst und wie die erstern auf das Schicksal des allerletzten Bürgers mitwirken müssen. Gottlob daß alles itzo ruhig und glücklich ist – auch das ein Beweis der allenthalben hindringenden Weisheit unserer höchsten Gesetzgeberin – und daß ein jeder gleichsam wieder wie von ferne zu leben und zu wirken anfangen kann. Du wirst aus dem Datum sehen, wie lange des Obristen Briefe bey mir gelegen. Schreib mir Deine Meynung darüber nicht – und bitte Papa,
daß er sie mir auch nicht schreibt. –
Man kann und darf niemals von Handlungen oder Sachen urtheilen, wenn man die kleinsten Ursachen derselben nicht weiß; und das Muthmaßen kann oft unwiederbringlich weiter fehl führen, als die vorsetzlichste Mißdeutung.
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Soviel muß ich Dir sagen daß weder beim hiesigen Landkorps alles vorbei ist, da es sich noch immer an dem stößt daß man keine neue Stelle kreiren will,
noch auch sonst es an Versorgungen fehlet. Das Seekorps in Cronstadt ist von nicht wenigerer Wichtigkeit als das Landkadetten Korps und meine Beförderung an demselben oder in einem andern Fach hängt lediglich von der Rückkunft der Monarehin ab. Du wirst aus beygelegtem Briefe an den Herrn
Kammerherrn Igelstrohm mehr ersehen.
Hier folgt auch ein Briefgen an Moritzsche und Schmidsche den ich aufs schleunigste zu befördern und zu unterstützen bitte.
Dein Weibgen und Deine Kinder aufs zärtlichste umarmend als
Dein
getreuer Bruder
J M R Lenz
J M R Lenz
Mit nächster Post schreibe an Papa, vorher aber muß – aufs schleunigste NB Nachricht
von Dir haben, ob
der Herr G. Gouverneur Braun
mit der Monarehin gereist oder ob er in Riga, und sie vielleicht auf der Rückreise wieder wo sehen werde; imgleichen ob General Berg mit gewesen und ob Du ihm mein Exposé
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Zutrauen nothwendig.
Und auch das, daß du nicht grad jeden fragst.
Der Rath einer gewissen Person, die Du mir empfahlst hat mir geschadet. Antworte doch bald ich bitte Dich.
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