Moskau, 14. Januar 1792
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Jakob Michael Reinhold Lenz
Baron Otto Wilhelm v. Stiernhielm (Vasula [Wassula])
LKB
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d. Jenner 1792.

Hochwolgebohrner Herr
insonders hochzuverehrender Gönner




Ich habe Russische Zobelhändler aufgesucht, um sie aufzumuntern, eine Reise nach Dörpt zu übernehmen, da ich weiß, daß der zahlreiche dasige Adel in der h.3. Köngismesse sich sonst mit Pelzwerk von Frankreich aus Canada versieht und ich nicht begreiffe, warum ein solcher Handel nicht mit Kaufleuten aus Moskau zu schliessen wäre. Allein ich ward krank über diese Jagd und da mir das Ausgehen durch heftige Schmerzen gewehrt blieb, so glaubte wenigstens durch einige Zeilen der Erinnemng genug zu thun, welche von Ew. Hochwolgeb. ersten Bekanntschaft auf der Schule in fremde Länder mitnahm und wo ich nicht irre auf einem Conzert im Löwensternschen Hause so überraschend angenehm in einem Jahrmarkt zu erneuren die Ehre hatte. Vielleicht reiset einer unsrer hiesigen holländischen Kaufleute hinüber und nimmt diese Waare mit sich; es war mir hauptsächlich daran gelegen, dem Liefländischen Adel welcher wie man mir gesagt, von der Akademie der Wissenschaften Winke erhalten, daß die Monarchinn entweder in Dörpt oder in Pleskau, wo die Ewst und Welika sich mit der Toropa vereinigen eine hohe Schule errichten wolle, einheimischen Adel in den Landessprachen und Rechten unterrichten zu lassen, eh er die Fremde besucht, etwa
zur Einweyhung
eines neuen Gebäudes, wie der
Domantische
Zauberpallast eines verwünschten Prinzen in Pieskau seyn soll, Vorschub zu thun. Man sprach von einer Drukerey, die aus Oberpalen hieher versetzt werden sollte, und in der That wäre Herr Past. Hupel, der sich so verdient ums Vaterland gemacht, nach der Beschreibung Hn. Bakmeister in Petersb. von der alten Akademie zu Derpt, der einzige Gelehrte der
werth
wäre, an der
Stiftung
einer Universität Teil zu nehmen, da es ihm, wenn er sich etwa im Sommer oder Wintersemester dort aufhalten wollte, an einem Adjunkt in Oberpalen oder auch in Pieskau oder Derpt nicht fehlen sollte.
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Es ist hier ein Fürst Gholizin der in Liefland Güter hat und von seiner Bekanntschaft weiß ich zwey liebenswürdige Gelehrte aus der Schweitz, die vielleicht gegen vortheilhafte Anträge aus Liefland nicht unempfindlich seyn würden. Im Vorbeigehen
„oserois je bien demander, mon cher Baron, si Vous aviez quelques Iiaisons avec une certaine Dame Douairière, Soeur de Ia Generale Kurganoffsky de Ia flotte à S. Petersbourg. Sa Soeur, comme elle ne doit pas ignorer, s’est donné une superbe maison et je crois que Me. d’A ** feroit très bien, de lui confier une ou deux de ses filles, dont on m’a dit, qu’une avoit un promis, Officier au corps des Cadets, et que j’ai eû I’honneur de voir chez Me. de K**. Le scrupule comme si son fief de Ia couronne courroit risque en eloignant une de ses filles, cesseroit bien vite parceque ces sortes de donations sont pour Ia vie de Ia Douairière. De plus, ce jeune officier dont depuis mon sejour ici je n’ai Ia moindre nouvelle, se trouvera probablement encore au corps, oú une 20taine de
Livoniens
sont élevés aux depens de I’Imperatrice. Ces Livoniens en sort
ant du
corps, pourro
ient con
tinuer leurs études
à Plesc
ou, et Mons. de Pr
attje se
faire un merite distingué, de les accompagner.“

Verzeihen Ew. Hochwolgeb. daß ich alle Mißverständnisse zwischen Rußland und Liefland auf die Rechnung alter Chronikenschreiber und Schulfüchse setze. Sie waren nicht viel besser als die Romanschreiber, die bei den häuffigen Pressen in Deutschland sich wohl oft der seltsamen Anwendungen ihrer Rittergeschichten von der runden Tafel nicht versehen würden. Die Schwürigkeiten der Sprache, die durch Sitten, Gebräuche, Speisen sich gern möchten
errathen
lassen, wenn sie sich Feier in der
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Aussprache zu begehen scheuen, machen das einzige Mißverständniß. Die Russische Geistlichkeit in Petersburg versteht sich sehr wohl mit der deutschen und wenn Drukereyen in beiden Sprachen oder die Uebersetzung des nehmlichen Buchs in beyde – den Weg öfneten, so würde man bei dem Russen des nehmlichen Nervensystems und Blutumlaufs, auch die nehmlichen Gesinnungen antreffen.
Ich befinde mich ein wenig in einer kritischen Lage, welche meinen lieben Brüdern und Schwestern nicht unbekannt seyn kann. Man hält mich hier überall für reich – da ich doch einen Vater habe, der bereits über dem Grabe schwebt, eine Wittwe als Tochter mit ihren Kindern bei sich hat oder in Petersburg unterstützt und von den starken Familien meiner übrigen wohlversorgten Geschwister gleichfalls in Anspruch genommen wird. – Es ist schwürig, mit meinen Geschwistern Briefwechsel zu führen, denn da ein Prof. in Giessen mir die Ehre erwiesen mich mit dem Romanschreiber – der aber in andem Aemtern dabei steht – Hn. Göthe in eine Liste zu setzen, so suchen und finden sie in allen meinen Briefen nichts als unverständliche Worte Poesie und Roman. Der Himmel wolle ihnen das wohlbekommen lassen und den Buchhandel in Liefland vermehren, damit sie auch den berühmten Rousseau vom Fuß der Pedemontischen Gebirge zur Ehre unsrer Nation in unsrer Sprache lesen können. Meine ziemlich ernsthafte Krankheit setzt dismal allen launigten Nebenausschielenden Anspielungen Grenzen, unser Leben ist freilich auf diesem Erdball nur allzuoft wunderbarer, als es sich das Hirn der Dichter und Leser von Gedichten vorstellen mag. – – Ew. Hochwolgeb. Wollen mir meine Geschwätzigkeit als einem Kranken und zum Jahrmarkte verzeihen da man gern viel spricht und ich hoffe, daß auch mein Bruder und Geschwister das Glük haben werden, denenseihen aufzuwarten. Man spricht von neuen Magazinen die einige reiche Entrepreneure von Metallgruben an verschiedenen Plätzen des Reichs errichten werden, welches
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da man in Liefland nur Branntwein nach Permien und Casan schikt, leicht zu einem solidem Handel mit Brod und Gerstensaft Gelegenheit geben könnte, woran es in den Berggruben zu mangeln scheint. Der Russische Tressenhandel würde z. B. nebst Kupfer zu Branntweinkesseln und Eisen zu andern Kesseln, gegen Lieferungen an Grütze, Malz u. s. f. über Pleskau, Toropez und Smolensk durch Agenten sehr wohl geführt werden, und manche Weitläuftigkeiten erspahren. Ich will vom Leinwand und Strumpfhandel schweigen, der auch aus benachbarten Ländern geführt wird, und da fast halb Rußland barfuß geht, bei Vereinigung der Düna mit dem Dnepr und der Moskwa mit vielem Vortheil, nebst dasigen Lächsen und gesalzenem Fleisch gegen Sibirische Fische geführt werden könnte, die man auf dem Wasser lebend erhalten kann. Sollten die Engländer mehr Bley und Zinn einführen, daß mehr Küchengeräth angeschafft werden könnte und sich etwa ihres Plüsch und Manchesterhandels wegen in Absicht der Geistlichen mit der
Krone
in Verhandlungen einlassen, so würde der innere Handel auf den Liefländischen Märkten bald mehr Vergnügen machen, als selbst der entfernte. Ich breche ab um Ew. Hochwohlgeb. als ein Kranker die aufrichtige Achtung zu bezeugen, welche mir Ihr persönliches Bezeigen eingeflößt. Den Liphartischen Häusern bezeige meine Ehrerbietung gleichfalls, und den jungen von Löwenstern bitte gelegentlich beizubringen, daß ihr ehmaliger Hofmeister im Hause des D.
Büsching
in Berlin schon vor mehrern Jahren den Schritt gethan, den wir alle einmal machen werden und welchem in diesen Tagen auch bisweilen nahe war.
Ew. Hochwolgebornen
gehorsamer Diener
JMR Lenz.

Moskau, d. 14ten Jenner 1792.

Hn. Postmeister Peuker wird dieser Brief wo möglich zur Bestellung ergebenst empfohlen.



á Monsieur
Monsieur le Baron de Stiernhielm
possesseur des terres
á Wasola
Provenienz
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 30
Übersetzung
Im Vorbeigehen „würde ich mir gern, mein lieber Baron, die Frage erlauben, ob Sie Verbindungen zu einer gewissen Dame von Stand, der Schwester des Generals Kurgunoffsky von der Flotte in St. Petersburg, haben. Ihre Schwester hat sich, wie sie sicher weiß, ein prachtvolles Haus zugelegt, und ich glaube, Frau von A** wäre sehr gut beraten, ihr eine oder zwei ihrer Töchter anzuvertrauen, von denen die eine, wie man mir gesagt hat, einen Verlobten habe, einen Offizier des Kadettenkorps, ich hatte die Ehre, ihn bei Frau von K** zu sehen. Die Bedenken, ihr Kronlehen könne durch das Fortschicken einer Tochter in Gefahr geraten, würden sehr schnell verschwinden, weil diese Art Schenkungen für die Lebensdauer der Standesdame gültig sind. Außerdem befindet sich dieser junge Offizier, von dem ich während meines Aufenthalts hier nicht die geringste Nachricht erhalten habe, vermutlich noch beim Korps, in dem etwa zwanzig Livländer auf Kosten der Kaiserin ausgebildet werden. Wenn diese Livländer das Korps verlassen, könnten sie ihre Studien in Pleskau fortsetzen und Herr Prattje kann es sich als großes Verdienst anrechnen, sie zu begleiten.“