Zürich, 2. September 1774
Der Brieftext wurde sekundär überliefert.
Johann Caspar Lavater
Jakob Michael Reinhold Lenz (Straßburg)
LKB
gedrucktes Rundschreiben:

Ich muß, ich muß es allen meinen nahen und fernen Freunden und Gönnern sagen, daß ich nicht mehr im Stande bin, nebst meinen übrigen, ohne dieß sich täglich häufenden Geschäften, eine weitläufige Correspondenz fortzusetzen. Weder meine Zeit, noch meine Gesundheit, noch meine Vermögensumstände gestatten es. Zu dem kommen itzt besonders noch neue Hinderniße – Ohne alle Verletzung also der Menschenliebe glaub ich, mir wenigstens ein halbes Jahr alle Briefe von meinen bisherigen und etwa neuen Correspondenten,
sehr dringende Fälle ausgenommen
– brüderlich verbitten zu dürfen. Helfet mir, liebe Freunde, und alle die mir wol wollen, wieder zu der Ruhe, ohne welche ich weder mich, noch die mich hören ober lesen, selig machen kann. Wenn ich gar zu vieles sen soll, so bin ich keinem Etwas, und mir selber nichts. Am allermeisten bitt’ ich jeden, dem dieß zu Gesichte kommen mag, zuzusehen, daß mir mit Buchhändlerischen Aufträgen, Subscriptions-Sammlungen und dergleichen durchaus für ein allemal, und mit Zusendung aller Manuskripten zur Lesung und Beurtheilung — wenigstens bis Ostern 1775. gütigst verschont werde. Gott wird’s denen, die aus Liebe zu mir, mir diese Gefälligkeit erzeigen, gewiß nicht unvergolten lassen.

Zürich,
den 1. des Herbstmonats. 1774.
Johann Caspar Lavater.


Lavaters Hand:

Nur ein Zeichelchen, daß ich an Dich, und Röderer, als liebe Brüder denke! Ich kann, ich kann nicht schreiben! Nicht danken! Ich habe nicht einmal Zeit, Arbeiten zusammen zu suchen, dich ich Euch auftragen möchte, für mich zu thun. Verzeihet mir, glaubet an meine Liebe, obgleich Ihr wenig oder nichts sehet. Schreibet mir viel, aber erwartet keine Antwort. – Macht Ihr physiognomische Beobachtungen; theilt sie mir
Sans ápropos
– halb, quart,
octav
– wie Ihr sie macht nur auf
octav
blätchen mit. Auch Monatgedanken hab’ ich keine mehr gemacht. Liebet einander Brüder, und mich, und grüßt alle und entschuldigt mich bey allen, daß ich – Ruhe suche, nicht die Ruhe der Trägheit.

An Herrn Lenze im Finkweiler, in
Straßburg.
Provenienz
Freye/Stammler Bd. 1, S. 81f. Zürich, Zentralbibliothek, FA Lav. Ms. 572, Nr. 19: Abschrift von Lavaters oder anderer zg. Hand mit dem Zusatz „Z. den 2. Sept. 1774.“