Eine und viele der seeligsten Stunden meines Daseyns hab’ ich Ihnen, sey Sie wer Sie wollen, zu danken. In einer Lage, wie’s wenige giebt – am Sterbebeth einer nahen, eben nicht warm doch redlich geliebten Schwägerinn – fieng ich an, Ihre wolerhaltnen
Meynungen eines Layen
, zu lesen, mit inniger Freud’ in der Stille der Mitternacht – – Meine Schwägerinn entschlummerte sanft – Ich ging schnell nach Hause; an einem hellen doch kühlen Frühlingsmorgen – fuhr sogleich, morgens vor 5 Uhr fort zu lesen; vor Freude zu zittern, vor Freude zu weynen, bald eine Zeile draus an meinen Bruder Pfenninger,
der auf dem Lande ist, zu schreiben!
Sturm von Seite der Cabale,
die das Sendschreiben eines zürcherschen Geistlichen
geboren hat – stürmte dazwischen! aber Ihre prophetische Geisteskraft trug mich. – Nun hab’ ich’s vollendet; – nun liest’s neben mir Passavant
– und den Abend noch – (warum ich nicht an seiner Seite) Pfenninger?
– Ich kann nichts, nichts sagen, als – Sie sind
mein Freund, ich bin der Ihrige. Nicht bitt’ ich Sie um Ihre Freundschaft; nicht trag ich Ihnen die meinige an – wir sind schon Freunde. Lichtstral darf nicht Lichtstral bitten: „Fließe mit mir zusammen.“ Das geschieht, in dem sie einander begegnen – aber das
ist ein Ziel meiner Bitte, daß Sie mir bäldest eine Zeile schreiben und zu mir sagen: „Lavater! hier und dort hast du geirrt; das Ziel nicht erreicht, vorbey geflogen – bist angeprallt. Vor dem hüte dich! da ist Quell deines Irrthums! da Fallstrick für deine Imagination, deinen Verstand, dein Herz –“ Dann will ich auch sagen, welche Zeilen
Ihrer Schrift unter die Gottesgeistigkeit herabsinken, hinausgleiten, nach meinem Sinn.
Den 20 April 75.
Zürich, Donnerstags, Abends nach 3 uhr.
Lavater
Zürich, Donnerstags, Abends nach 3 uhr.
An den Verfasser der
Meynungen eines Layen
schleunigst – abzugeben.