Straßburg, Dezember 1775
Der Brieftext wurde anhand des Originals kritisch geprüft.
Jakob Michael Reinhold Lenz
Philipp Christoph Kayser (Zürich)
LKB
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Ich schreibe Dir dieses unter dem Gestürm der Feuerglocken und Feuertrommeln in der Nacht um 4 Uhr. Kayser wenn Du Stollberg schreibst, so sag ihm, ich hätte Lavatern einen Dank für die mir überschickte Freiheitshymne geschrieben, den er ihm noch auszurichten hat. Doch mögt’ er bedenken daß ein guter Wein keines Kranzes bedarf, am wenigsten von meiner Thespishand.
Es wird bald ein tüchtiges Geschimpf und Geschmäh über mich in Deutschland loßgehn. Kaiser! willst Du auch von der Parthey seyn? – Nein lieber Junge Du hast mich zu lieb, Du hast Dich zu lieb. Wenns überstanden ist, so lachen wir doch.
Millern hab ich geschrieben, ich lieb ihn wie meinen Augapfel, er ist zum Poeten geboren. Schick mir Klingers Schauspiel, aber mit Gelegenheit. Ich bin durch meine Correspondenz hier in tiefe Schulden gerathen, die mir auch wacker zusetzen. Das sollte mich freuen, wenn Du was von Deinen Musikalien hättest drucken lassen, und das wär’ ich zu sehen, am meisten begierig.
In Bojens Monathsschrift kommt eine Schulmeisterchrie in Versen von mir die Dich auch freuen wird. Bester wenn Du doch bey Gelegenheit Dich erkundigen könntest, was aus meinem Petrarch
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geworden ist. Es wäre der beste Wundstillende Balsam in diesem für mich kritischen Zeitpunkt um des Publikums Wuth gegen mich ein klein klein wenig zu besänftigen.
Grüsse
Lavatern.

Lenz.



auch kommt bey Gottern ein neues Lustspiel nach dem Plautus von mir zum Vorschein, worinn ich dem Faß vollends den Boden ausschlage. Es muß diesmal bauen oder brechen auf immer. Ich bin zu allem gefaßt Unser aller Freiheit
hängt vom Petrarch
ab.
Wie schön man eben vom Münster ein Danklied abbläst. Das Feuer war grad der Kirche gegen über und ist Gottlob!! glücklich gelöscht. Herr Gott dich loben wir.
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Frage doch Lavatern ob er mein letztes Briefgen erhalten hat, in dem von der Physiognomik die Rede war. Ich gab ihn jemanden bis Basel mit, dessen mir bekannte Nachlässigkeit mir itzt Sorgen macht.
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Provenienz
Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, NL Lenz, Bd. 2, (Nr. 233), Bl. 60.