Gotha, 2. Januar 1776
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Friedrich Wilhelm Gotter
Jakob Michael Reinhold Lenz (Straßburg)
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G. den 2. Jenner. 76.

Mein erster Brief in diesem Jahre ist an Sie, liebster Lenz. Ich habe keinen Posttag versäumen wollen, Ihnen die Ankunft Ihrer Algierer zu melden und die versprochenen 4. Louisd’or zu schicken. Zwar hab’ ich noch keine Antwort von Seyler, aber ich bin gewiß, daß er mir für den Händel Dank wißen wird. Was ich sonst noch mit dem Stücke bey dem hiesigen oder Hamburger Theater erwuchern kann, sollen Sie ohne Verzug haben; alles mit dem gehörigen Anstand und Dekorum. Deshalb können Sie außer Sorge seyn. Übrigens seh’ ich aber nicht recht ein, warum wir Schriftsteller, da wir von dem Publikum überhaupt so wenig Belohnung zu hoffen haben, mit den Theaterdirektoren Komplimente machen oder vielmehr uns eines Händels schämen sollen, der in der ganzen Welt eingeführt ist. Doch wer hierunter Delikateße hat, muß geschonet werden. Goethe war vorige Woche hier; aber wie kurz! Er kam nach Mitternacht auf der Redoute an, brachte den folgenden Tag bey Hofe zu und reiste sodann mit der Weimarischen Herrschaft wieder zurück. Ich hab’ ihn in allem kaum eine Viertelstunde gesprochen. Er weiß noch nicht, wie lang er in Weymar bleiben wird, wo er den Günstling in bester Form und Ordnung spielt und den ihm eignen vertraulichen, nachlässigen, hingeworfnen Ton überall eingeführt hat. Ich muß ehestens hinüber, um mich selbst von dem Fuß zu über-
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zeugen, auf welchem er mit Wiel. steht. Was man davon hier erzählt, ist nicht zum Vortheil des leztem.
Mein Urtheil über die Algierer? Noch kann ich nichts, als sie loben. Zum urtheilen muß ich erst ein wenig kälter werden. Wenn dieses Stück keine Würkung thut, so geb’ ich mich nie wieder mit theatralischer Nativitätstellung ab. Solch ein warmes, ungetheiltes Intereße! Solche gedrängte Handlung! Solche Einfalt in Gang und Sprache! – Mich dünkt ich höre schon Ekhof Alonzo. – Daß ich, durch Hülfe eines Mittlern Vorhangs die Akte zusammengerückt und aus fünf, 3. gemacht, auch ein paar Ausdrücke gelindert habe, werden Sie mir verzeihen. Und dann einen einzigen Einwurf. Pietro ist seinem Vater ungefähr in seinem zehnten, zwölften Jahr entrissen worden. Sollt’ er sich so sehr verändert haben, daß Alonzo nicht die geringste Spur von Ahnlichkeit mehr fände – und wenn das wäre, auch der Vater? – Pietro hört sich von seinem Vater nennen und sein Herr sollte diese bekannte Stimme nicht wieder erkennen?
Meine
theatralischen Sachen lohnen des Postgelds nicht, sonst schickt’ ich sie Ihnen mit Vergnügen; aber sobald sich eine Gelegenheit zeigt, solls geschehen. Das Beste darunter ist noch nicht gedruckt; der
Jahrmarkt,
eine Operette und
Mariane,
ein bürgerliches Trauerspiel, nach der Melanie des Ia Harpe, aber so umgearbeitet, daß ich es
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so gut mein nennen kann, als Racine seine aus dem Euripides gestohlnen Tragödien. Ich weiß selbst nicht, warum
ich
es noch nicht über mich gewinnen kann, nach eignem Plane zu arbeiten.
Ihre Anmerkungen wegen des von den beyden Freunden zu beobachtenden Spiels sind vortreflich und ich werde sie gehörigen Orts mittheilen.
Empfehlen Sie mich den beiden Hhn. Salzmann u. H. Michaelis, wenn sie ihn sehen.
Mein Freund Sulzer ist auf einer Reise ins Hannöverische, um die Beschaffenheit der dortigen Viehseuche zu untersuchen.
Und meine Schwester in Lion – bald hätt’ ich Ihre ver
liche Nachfrage nicht beantwortet – befindet sich wo
wünscht aber sehnlich, künftiges Frühja
land zurückzukommen. Es wäre freylich
ich ihr bis Straßburg entgegen reisen kön
Die Stollberge sind schon vor einigen Woch
gereist und haben sich nur zwey Tage a
Fahren Sie fort mein Freund und von der Red
meines Herzens überzeugt zu seyn! Der Himmel laß es Ihnen sowohl gehen, als es Ihnen wünscht
Ihr G.


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An Herrn
Herrn
Lenz

mit 4. Louis’dor
in
Strasbourg.

abzugeben bey Jngfer
Lutte
in der Knoblochsgaße.
Provenienz
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 32, Nr. 14. Textverlust durch Ausriss.