Straßburg, Mitte Februar 1776 [empfangen am 20. Februar]
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Jakob Michael Reinhold Lenz
Heinrich Christian Boie (Göttingen)
LKB
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Heinrich Christian Boie
Den 20 Febr. 76.


Ich muß Ihnen bekennen, daß ich sehr mit den Wolken gefehlt habe. Ich habe an hunderttausend Sachen nicht gedacht die mir aus denselben auf ewig zur Last gelegt werden könnten und ich sehe jetzt nur zu sehr ein, wie gefährlich die Lesung eines Alten einem Jüngling werden kann der den Sturm der Leidenschaft im Busen hat. Seine Vernunft die ihm alle Gegenstände beleuchtete, verdunkelt sich, er sieht sich und seinen Feind allein und die ganze Welt nimmt eine andere Gestalt vor ihm an.
Wenn Sie noch mein Freund sind Boje, wenn Sie noch Freund des Guten sind das ich aus allen Kräften zu befordern wünsche, hindern Sie noch den Druck dieser Mißgeburt meiner Galle. Warum mußte ich doch in dem Augenblicke überm Aristophanes sitzen, als Wiel. mich beleidigte. Wenn sie gedruckt wird, wünschte ich nicht mehr zu leben. Nicht wegen der Gefahr der ich mich aussetze, sondern wegen des Guten das ich sonst ausrichten könnte und das sie auf ewig verhindert.
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Schreiben Sie mir auf das geschwindeste Bester, o nun mein entscheidender Freund – ob das hintertrieben werden kann. Ich will gern alle Kosten tragen. Und verzeyhen Sie mir meine häuffigen Briefe und wie ich Sie mit alle den Aufträgen mißhandele. Ich hoffe daß einmal gut zu machen.
Und schicken Sie mir, ich bitte das Mskpt der Wolken zu, damit es in keine andere Hände durch Zufall jemahls gerathen könne. Es verwölkt und umnebelt meine ganze Bestimmung
alle meine Entwürfe
auf immer.
am rechten Rand aller Zeilen des direkt folgenden Absatzes wohl irrtümlich Anführungszeichen; sie sind wahrscheinlich erst für den darauf folgenden Absatz gedacht:

Nichts destoweniger können und sollen die Blätter gedruckt werden die den Wolken als Anhang bestimmt
waren:
sie sind fürtrefflich und für unsere Zeiten, für Wieland, für die Kunstrichter und das Publikum nothwendig. Mit denen biete ich allen Gefahren die meinem Namen daraus entstehen
könne
frölich Trotz, von meinem eigenen Herzen gerechtfertigt. Wenn Sie doch Herrn Helwig bereden könnten die Wolken dagegen auszuwechseln und sie ungefähr mit folgendem Vorbericht drucken zu lassen.
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Der Verfasser dieser kleinen Schrift hatte mir ein Manuskript zugesandt, dessen Druck er aus wichtigen Gründen zu hintertreiben
und es der
    
für
nöthig
gut
fand. Da dieses Mskpt. aber doch durch verschiedene Hände gegangen war, fürchtete er es könnte bey einigen seiner Leser nicht nur wiedrige Eindrücke gegen die darin
vorgestellten
vorkommenden
Personen sondern auch wieder den Verfasser selbst, der in dem Augenblick als ers schrieb seiner Einbildungskraft und seinen Leidenschaften Zügel anzulegen nicht im Stande war, zurückgelassen haben. Diese auszulöschen schrieb er folgende Vertheidigung der in den Wolken
geschilderten
vorgestellten
Personen und seiner selbst, weil er einen Schritt den er in Aristophanischem Spleen zu weit gethan auf keine andere Art gut zu machen wuste, um zugleich durch sein Exempel allen seinen jungen Landsleuten die in ähnliche Umstände kommen könnten, einen Wink der Warnung zu
geben.
hinterlassen.
Ich bitte Sie um baldige Antwort Boje, weil eine mir sehr wichtige Reise davon abhängt. Unterdessen umarmet Sie aufs zärtlichste
Lenz.

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Herrn
Herrn
Boje

Gelehrten in
G

Göttingen
Heinrich Christian Boie
Provenienz
Kraków, Biblioteka Jagiellońska, Lenziana, Sammlung Autographa 1, Nr. 7.