Fort Louis, d. 13ten Jul. 1772.
Liebster Bruder!
Deine Vorwürfe würden mir so empfindlich nicht seyn, wenn ich sie
nicht
verdient hätte: aber sie nicht verdient zu haben und doch kein Mittel wissen, die üble Meinung abzulehnen die alle meine vorige Bekannte meines Stillschweigens halber von meinem Herzen zu fassen anfangen das ist in der That niederschlagend. So mürbe ich aber auch von den Streichen des Schicksals bin, so soll doch kein einziger, das hoffe ich zu Gott; mir meinen Muth rauben. Ich habe öfter an Dich geschrieben als Du an mich – wen soll ich anklagen, daß meine Briefe nicht zu Euch kommen? Ich freue mich über Dein morgenröthendes Glück – das meinige liegt noch in der Dämmerung. Es mag ewig darinne liegen bleiben – Dir nähere Nachrichten von meinen Umständen und Begebenheiten zu geben, ist mir unmöglich. Sie geben das anmuthigste Gemählde von Licht und Schatten, wiewohl der letzte bisweilen ein wenig tief ist. Aber im Briefe kann ich Euch nichts davon mittheilen: und ich halte es für besser Euch lieber zu schreiben daß ich noch gesund bin und lebe, sonst nichts, als Euch mangelhafte und unvollkommene Nachrichten zu geben, aus denen Ihr Muthmassungen und Schlüsse ziehen könntet, die Eurer und meiner Ruhe schaden würden. Ich habe mit Deinem Briefe einen sehr lamentablen von unserm guten Frohlandt aus Königsberg bekommen, worin er mir meldet, daß fast die ganze Landsmannschaft davon gelauffen.
In der That, ich werde bald anfangen zu erröthen, mich aus unserm Vaterlande zu bekennen, wenn unsere Landsleute sich Deutschland in einer solchen Gestalt zeigen. Baumann, Hesse, Zimmermann, Hugenberger, Kühn, Meyer – ich habe meinen Augen nicht trauen wollen. Und der arme Frohlandt ist in der That fast aufs äusserste gebracht – Hipprich und Marschewsky sind gleichfalls aus Berlin mit Schulden davon gelauffen, der letzte hat dieses schon in Leipzig und Jena gethan. Das sind denn die würdigen Subjeckte, mit denen in unserm Vaterlande Ehren- und Gewissens-Aemter besetzt werden. Ich wünschte meine F
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zu spröde, daß Du thust, als habst Du sie nie gekannt. Ich dependire einmal in gewisser Absicht von ihnen. – Kurz in meinem nächsten Briefe werde ich Dir von meinem Entschluß positivere Nachricht geben. Reisegeld aber würde der Herr Etatsrath mir wohl schiken müssen, denn die Reise
– macht
legt meiner Zurükkunft die größte Schwierigkeit in den Weg. Du weißt die Oekonomie der jungen Herrchen und wie viel sie baar liegen haben. – Von Henisch kriege ich noch beständig Briefe, von Miller aber keine, auch von Pegau nicht, wenn Du an einen von ihnen schreibst, so grüsse doch beyde von mir 1000mahl und sage ihnen, daß ich gegen alle meine Freunde unter allen meinen Umständen der alte Lenz bleibe. Vielleicht thu ich mit dem ältesten Herrn v. Kleist auf den Herbst eine Reise auf einen Monath nach Nancy
und mit dem jüngsten auf den Winter eine auf ein Paar Monathe nach Mannheim. Warum hast Du die Bedienung in Dorpat nicht angenommen. Eine gute Einschränkung versp
erwirbt oft mehr als ein hohes Gehalt und wenn zu dem ersten die Gesellschaft der zärtlichsten Freunde kommt und bey dem andern jede Freude des Lebens darbt, so sollte billig der erste Zustand der vorzügliche seyn. – Jetzt kann ich unmöglich weiter schreiben – die Post
Gelegenheit
geht – o Himmel wie viel muß ich unterdrüken! Das sey aber versichert, mein theurer Bruder, daß ich Dich vorzüglich liebe und unter allen Umständen meines Lebens lieben werde. Die Gelegenheit mit der ich Dir diesen Brief schicke ist der Baron von Grothusen, welcher Morgen nach Curland zurükreiset und mit dem ich anfangs mitzugehen mir schmeichelte, diese Hofnung ist aber durch allerley Contretems
zu Wasser geworden. Die vorigen Briefe habe ich Dir theils auf der Post, theils durch Pegau (wo mir recht ist) theils durch einen Landsmann der auch nach Hause reiste, theils durch Herrn v. Sievers
zugeschickt. Daß keiner angekommen, weiß ich auf keine Art zu begreiffen. Schreibe mir durch Frohlandt oder H. v. Sievers
, fast möchte ich itzt die erste Gelegenheit für besser – oder nimm doch die andere – Mache wie Du es für gut findst. Meine Adresse
ist an H
abzugeben beym Herrn Actuarius Salzmann, nahe bey der Pfalz. Actuarius ist hier eine der ersten Magistratsbedingungen, nicht wie in Liefland – Ich muß schliessen. Ich hoffe gewiß daß wenigstens dieser Brief Dich antreffen wird. Melde mir doch wie die Bedingungen Deiner Condition
lauten. Bitte Papa um ein paar Zeilen von seiner Hand, dis ist die einzige Wohlthat die ich mir von ihm ausbitte. Küsse ihm und Mama 1000mal die Hand allen meinen theuren Geschwistern Freunden und Freundinnen 1000000mal den Mund von
Deinem zärtlichsten Bruder Lenz.
Kleists lesen alle meine Briefe. Wir sind aber Freunde und Du darfst alles frey schreiben, nur nichts von ihnen.