Hinter Frankfurt, wahrscheinlich Ende März 1776
Entwurf
Der Brieftext wurde anhand des Originals kritisch geprüft.
Jakob Michael Reinhold Lenz
Henriette von Oberkirch geb. Waldner von Freundstein (Straßburg)
LKB
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Un inconnu Vous ecrit ceci, prenez cela plutot pour un avertissement du ciel. Je n’y peux pas avoir d’interet, parce que je ne me nomme pas. Qu’allez Vous faire trop aimable et charmante Baronne! epouser un homme qui n’est pas a portee de Vous, qui n’est pas en etat de Vous apprecier sacrifier jeunesse beaute graces talens richesses tout tout a une ame qui peut etre ne sait estimer que le dernier et le plus vil de ces rares avantages. Dieu ou en estes
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Vous, si spirituelle si penetrante que Vous etes de Vous laisser aller de la sorte a un sort aveugle cruel et injuste a un sort qui tôt ou tard coutera la vie a vos veritables amis parce qu’ils Vous voyent perdue sans ressource oui perdue adorable que Vous etes d’etre tombée dans les mains d’un homme ordinaire et consequemment froid et inconsequent,
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Vous femme extraordinaire en tout point. Ecoutez moi ecoutez moi, ne vous abandonnez pas si legerement, attendez au moins, eprouvez le, qu’ avez Vous a risquer: Voyez par mille experiences s’il peut un jour meriter Votre main pensez que c’est un pas pour Ia
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vie, un pas qu’on ne peut plus retracter Croyez moi, tout amour de
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la vertu commence de soi même, on ne peut plus se plaindre du sort, apres s’etre rendu malheureuse soi même Et quel malheur quel crime plus grand que de Vous donner Vous meme a des intentions douteuses, frivoles au moins a un cœur qui ne sait pas mourir de joie d’ avoir remporté un triomphe sans pareille, un cœur qui ne mette pas toute sa felicité a Vous adorer
Provenienz
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 33, Nr. 5. Entwurf in Bleistift.
Übersetzung
Dies schreibt Ihnen ein Unbekannter, verstehen Sie das mehr als eine Warnung des Himmels. Ich kann daran kein Interesse haben, weil ich meinen Namen nicht nenne. Was werden Sie tun, allzu liebenswürdige und reizende Baronin! Einen Mann heiraten, der nicht von Ihrem Format ist, der gar nicht in der Lage ist, Sie zu schätzen. Jugend, Schönheit, Anmut, Begabungen, Reichtümer, alles alles einer Seele opfern, die vielleicht nur den letzten und den niederträchtigsten dieser seltenen Vorzüge zu schätzen weiß. Gott, wie weit ist es mit Ihnen gekommen, dass Sie, die Sie so geistreich und scharfsinnig sind, sich auf diese Weise einem blinden, grausamen und ungerechten Schicksal hingeben, das Ihre wahren Freunde früher oder später das Leben kosten wird, weil sie sehen, wie Sie mittellos verloren sind, ja verloren, weil Sie, reizend wie Sie sind, in die Hände eines gewöhnlichen und folglich kalten und leichtfertigen Mannes gefallen sind, Sie, eine in jeder Hinsicht außergewöhnliche Frau. Hören Sie mich an, hören Sie mich an, geben Sie sich nicht so leichtfertig hin, warten Sie wenigstens, prüfen Sie ihn, denn was haben Sie zu verlieren: Prüfen Sie tausendmal, ob er eines Tages Ihre Hand verdient. Bedenken Sie doch, dass es sich um eine Entscheidung für das ganze Leben handelt, eine Entscheidung, die man nicht rückgängig machen kann. Glauben Sie mir, jede Liebe der Tugend beginnt bei sich selbst, man kann sich nicht mehr über das Schicksal beklagen, nachdem man sich selbst unglücklich gemacht hat. Und welch größeres Unglück, welch größeres Verbrechen könnte es geben, als dass Sie selbst sich zweifelhaften, zumindest aber oberflächlichen Absichten hingeben, sich einem Herzen geben, das nicht vor Freude darüber zu sterben weiß, einen unvergleichlichen Triumph davongetragen zu haben, einem Herzen, das nicht seine ganze Glückseligkeit darin findet, Sie anzubeten.