Wenn Du die himmliche Freude u: Blüthe dieses Gesichts mit Farben in die Phy: übertragen kannst, so will ich Dir gern beyde noch lange laßen, aber das erste muß ich einmal wiederhaben – oder ich endige schröklich, meine Vorsäzte sind hierinn ganz kaltblütig u: m: Entschluß unveränderlich. Aber welchen Künstler wirst Du mit diesem Gesicht beschäftigen? Wenn Du den Schlüßel zu allen den Zügen hättest! Ach wo ist die Meisterhand – u: ein ganz himmelheitrer Augenblik für Dein Urtheil – Du verstehst mich, alles was Erziehung, glükliche Umstände von außen u: eigenthümliches Genie vereingen konnten.
Nur daß ich das Bild wieder habe u: bald – Was wirst Du darüber sagen! Kann ich’s Voraus wißen u: insgeheime? Lieber mein Leben, tausend Leben, als das Bild. –
Nim mir mein Geschwärm nicht übel, Du bist auf der Welt der Einzige gegen den ich so schwärmen darf. Und doch bin ich des in mich Hineinschließens an den Leuten hier so gewohnt, daß ich selbst gegen Dich –
Wo Du aber gegen sie von alledem was merken läßest, bist Du nie mein Freund gewesen.
Weimar, Mitte Mai 1776
Der Brieftext wurde sekundär überliefert.
Jakob Michael Reinhold Lenz
Johann Caspar Lavater (Zürich)
Provenienz
Zürich, Zentralbibliothek, FA Lav. Ms. 594.12 (1), Exzerptheft von Lavaters Hand.