Weimar, Ende Mai 1776
Entwurf
Der Brieftext wurde anhand des Originals kritisch geprüft.
Jakob Michael Reinhold Lenz
Johann Georg Zimmermann (Hannover)
LKB
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Hier mein treflicher Freund und Gönner die gedruckte Kopey eines Gedichts das der von Seiten seines Herzens wahrhaftig liebenswürdige Lindau kurz vor seinem Abmarsch nach Amerika (der nun würklich erfolgt ist) gemacht hat. Er äusserte in seinem letzten Briefe den Wunsch oder vielmehr er beschwur uns, wenn wir mittelbar oder unmittelbar eimgen Zusammenhang mit Amerika hätten, es dahin an den
D. Franklin
oder General
Washington
kommen zu lassen und ihnen zugleich einige Personalien von dem Verfasser zu melden. Wir wissen uns (Wieland, Goethe und ich) bey dieser Foderung an niemand zu wenden, als an Sie mein Theurester und da Sie die Sache der Freiheit auch unter allen Verhältnissen lieben, so glaube ich wenn Sie es füglich thun können, werden Sie auch diesen letzten Willen des treflichsten aller Don Quichotte vollziehen helfen, da in der That wie ich glaube den Kolonieen eine Erscheinung dieser Art nicht anders als willkommen und aufmunternd seyn kann. Und man überhaupt nicht weiß was ein ausgeworfener Saamenstaub für gute Folgen haben kann.
Ich habe auf Ihren nur gar zu gegründeten Rath an Hellwieg durch unsern Freund Boje geschrieben (dem ich mich gütigst sehr zu empfehlen und ihm für die Mittheilung der Komödien
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und seines Freunds Matthei und der Herren von Holzschuh zu danken bitte) und mir die Bekanntmachung der Wolken sowohl als ihrer Vertheidigung sehr ernsthaft verbeten, hoffe auch daß dieser gute Mann
Hellwieg
Wort zu halten nicht für eine Sache halten wird, der ein Mensch auf der Welt sich überheben könne, besonders, sobald er handelt und in Verhältnissen steht. Zudem habe in der Vertheidigung Druckfehler gefunden die dem ganzen Dinge ein schiefes und häßliches Ansehen geben,
gefühllos
anstatt
gefühlig,
gewiß ich müßte selbst gefühllos sein, wenn ich die Bekanntmachung einer so nachteiligen Vertheidigung W. ertragen könnte. Statt N ist I und andere dergleichen Späsgen die mir den ganzen Zweck der Schrift verderben, die überhaupt bey unsrer gegenwärtigen Lage wenig Wirkung thun wird.
Ich arbeite jetzt an einem Werk über die Soldatenehen das ich wohl französisch schreiben und die Reise werde nach Paris machen lassen. Ein Gegenstand den ich schon bey drey Jahren in meinem Kopf herumgewelzt. Bitte sehr unsern Freund Boje mir das Versprochene zukommen zu lassen. Er wird vielleicht von Schlossern etwas von mir in sein Musäum erhalten, das hier am Hofe viel Sensation gemacht hat. Wieland Goethe und ich leben in einer seeligen Gemeinschaft, erstere beyde Morgens in ihren Gärten,
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ich auf der Wiese wo die Soldaten exerziren, nachmittags treffen wir uns oben beym Herzog, der mit einer auserlesenen Gesellschaft guter Leute an seinem Hofe die alle (so wie auch wir) eine besondere Art Kleidung tragen und er die
Weltgeister
nennt seine meisten und angenehmsten Abende zubringt. Goethe ist unser Hauptmann.
Ich werde wohl bald den gar zu reitzenden Hof verlassen und in eine Einsiedeley hier herum gehen meine Arbeit zu Stande zu bringen, zu der ich hier nur Kräfte sammle. Sodann bin ich für die ganze Welt und für alle meine Freunde todt. Ich bitte sehr das keinen Unterscheid in unserm künftigen Zusammenhange machen zu lassen. Sagen Sie mir doch, mein Gönner, ob man in Hannover französische Sachen darf drucken lassen. Reich will nicht dran wegen der Schwürigkeit des Umsatzes. Auch wollte Sie gehorsamst fragen, ob die versprochenen Exemplare der Soldaten wirklich an mich nach Strasb. abgegangen, ich könnte sie hier gar zu gut brauchen besonders da hier soviel ich weiß weder Buchladen noch Buchhandel ist und ich sie nicht einmal für Geld bekommen kann, meinen Freunden aber Exemplare abzubetteln mich schäme.
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Auch Sie werden die traurige Nachricht von der russischen Großfürstinn wohl gehört haben, die ein gewisser Herr v. Edelsheim Regierungsrath am Carlsruher Hofe, ein artiger Mann und der sich einen Freund von Klopstock sagte, hieher gebracht hat. Der Herzog, besonders aber die Herzogin sind in der lebhaftesten Betrübniß darüber.
Die Fremden gehen jetzt hier sehr häuffig. Ich habe auch unter denen viele wunderbare Gelegenheiten gefunden, Personen die ich zu sehen aufgegeben hatte wiederzusehen. So den geheimen Rath Vietinghof aus Liefland zum Exempel, der ins Bad und von da nach Frankreich England und Italien geht und durch den ich vielleicht meine Schrift in Paris überreichen lassen werde, wenn ich sie nur noch aufs höchste gegen den Oktober fertig gedruckt haben kann denn er bleibt nur die eine Hälfte des Winters dort, die andere Hälfte passirt er in Italien.
Herder und Stollberg sind noch nicht hier, der letzte kommt erst auf den Herbst, warum der erste aber zögert begreiffe ich nicht. Ich wünsche ihn aus allen Kräften hieher, hoffe auch daß die letzten Steinehen des Anstosses bald weggeräumt sein werden. Der Herzog ehrt ihn ungemein.
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vertikal am linken Rand der vierten Seite
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Im Merkur werden Sie künftig auch mich zuweilen sehen. Was ist doch die Frau v. Stein für ein Engel, deren Schatten Sie uns in Strasbg. wiesen
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Provenienz
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 15; wohl nicht abgesandt; beigelegtes Lindau-Gedicht nicht ermittelt. Entwurf: Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 9.