Berka, Juli 1776
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Jakob Michael Reinhold Lenz
Johann Georg Zimmermann (Hannover)
LKB
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Schon lange mein verehrungswürdiger Freund hätt ich Ihnen einige Zeilen zugeschickt wenn ich den Erinnerungen meines Herzens hätte folgen wollen; da meine Zeit aber mir nur zugemessen ist und ich in der Freundschaft die stillen und unbekantbleibenden Gefühle den wortreichen oder auch nur denen die sich produziren möchten vorziehe, so habe ich einen Mann wie Sie lieber der sich immer gleichbleibenden Ueberzeugung von unserer Hochachtung weil sie auf Werth gegründet ist und uns Werth giebt, lassen, als Ihnen durch unnütze Worte den Argwohn geben wollen, als könnt’ ich einen Augenblick Ihre gute Meynung von uns in Zweiffel ziehen.
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Darf ich Sie bitten sich gegenwärtiges Gedichts bey unserm Freunde Boje anzunehmen das hoffentlich die Aergernisse die ich dem Publikum in Ansehung Wielands gegeben wieder gut machen und denen Beherzigungen selbst die mich gezwungen über die Schnur zu hauen und die ich in der
Vertheidigung
dargelegt, mehr Gewicht geben wird. Sie als ein erfahrner Steuermann auf den Wogen desselben sowohl bey Sturm als
Windstille,
müssen mich aufs halbe Wort verstehen.
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am linken Rand der zweiten Seite, vertikal
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Doch bitte ich vor allen Dingen Freund B. wenn ers ins Museum rückt, den Correktor anzuhalten daß ja kein Druckfehler unterschleiche. So bin ich neulich
erschrocken
über gewisse Sachen
(besonders Verse)
die in der Schweitz von mir herausgekommen sind, die ich kaum
selbst
verstund, geschweige wiedererkannte

Ich finde einen unaussprechlichen Reitz an der Einsamkeit, sie allein befriedigt alle meine Bedürfnisse doch find ich itzt Ihre Philosophischen Beobachtungen darüber mehr als
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jemals bestättigt. Ich wünschte von Herzen es erschiene einmal von
einer Feder wie
die Ihrige eine
Psychologische Diäthetick
für besondere Individiua und besondere Fälle in die sie gerathen können.
Unter diese mein Gönner! Gehört auch unser kranker liebenswürdiger Lindau von dem ich Ihnen doch sagen muß, daß ich ihn nicht ganz zu übersehen mich getraue, bis er ausgewirkt hat. Wer kennt alle die Keime in menschlichen Seelen – und kurz haben Sie die Gütigkeit, gegenwärtiges Brieflein, das ich ihm zur Ermunterung von verschiedenen seiner Freunde habe zusammenschreiben lassen, worunter Personen
von Gewicht sind
Herrn Stabss. Boje der mir das freundschaftliche Anerbieten gethan es zu besorgen, auf das angelegentlichste zu empfehlen.
Lenz.


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Ich hoffe zu Herrn Bojens Geschmack er werde der zwey Noten halben die das ganze Stück bey
einer gewissen Gattung Leser an
denen ihm bey seinem Musäum doch am meisten gelegen seyn muß, am meisten
heben
werden, keinen Anstand nehmen es einzurücken.
Die letzte scheint mir wegen einer gewissen Gattung neuer Schriftsteller die mit Wielands Manier wahre Abgeschmacktheiten sagen (so wie denn heut zu Tage jeder Mann von Werth seine Affen hat die sich dabey unvergleichlich befinden, derweil er die schwere Noth kriegen möchte und das Publikum wie ein Betrunkener nicht weiß hinter wen es taumeln soll)
mehr als zu nöthig,
doch kann es Herr B. darüber nach seinem Gutbefinden halten. Mich deucht er thut sich durch allzuviele Circumspecktion Schaden, sobald es Sachen gilt, worauf es was ankommt. Gerade da ist die größte Vorsicht oft die höchste Unvorsichtigkeit.
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am linken Rand der zweiten Seite, vertikal
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Provenienz
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 31, Nr. 17.