Berka, Mitte Juli 1776 [empfangen am 31. Juli]
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Jakob Michael Reinhold Lenz
Gottlieb Konrad Pfeffel (Colmar)
LKB
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Meine Abreise aus Strasburg war so unvermuthet und meine Schicksale und Beschäftigungen kreutzten sich seitdem so wunderbar daß ich von den wie Blitzen an mir vorüberfliegenden Augenblicken bisher noch keinen habe haschen können, Ihnen zu sagen wie unwandelbar meine Hochachtung für Sie sey und wie alle Entfernung den Zusammenhang mit Männern von Ihrer Art nur etwas weiter ausdehnen, nie aber zerreissen könne.
Um was Geschäft ist zuerst auf die Seite zu räumen, muß ich Sie bitten doch gelegentlich Herrn Neukirch zu sagen, er möchte die Rhapsodie, so er Ihnen vorgelesen, doch Herrn Schlosser zurückschicken, sie war für einen andern bestimmt. Ich hoffe aber mit diesem lieben
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Mann, wenn er Lust zu mir hat, in andere Unterhandlungen zu treten, die für uns beyde wichtiger seyn werden.
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am unteren rechten Rand der ersten Seite Empfangsvermerk
bottom right
Gottlieb Konrad Pfeffel
Mr Lenz den 31
Juillet
1776.


Itzt zu Ihnen und Ihrem Institut. Darf ich mir doch einige Nachrichten davon ausbitten. Sind auch französische junge Edelleute darinn?
worinn werden sie unterrichtet?
Was andere zu vielen Lärmen machen, werther Freund! machen Sie zu wenig.
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am linken Rand der zweiten Seite, vertikal
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Ob auch neue Seeschulen errichtet worden.

Wollten Sie mir auch sagen, und Herr Prof. Lerse wird mir vielleicht darinn mehr Licht geben können, was eigentlich aus der
ecole militaire
in Paris
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geworden ist, wo jetzt
ecoles militaires
angelegt worden, was aus dem
hotel des Invalides
geworden ist,
wo die Invaliden jetzt verpflegt werden, was aus der
Landmilitz geworden ist
und wozu sie anjetzt gebraucht wird, ich brauche alle diese Nachrichten nothwendig und aufs eheste. Verzeyhen Sie meine Unbescheidenheit, ich weiß sonst nicht an wen ich mich wenden soll.
Herr Basedow hat mir die Ehre angethan mir einen Ruf als Schriftsteller ans Philanthropin zuzuschicken; ich mußte wirklich lachen über diese ganz neue Art zu komplimentiren. Indessen hoffe ich dennoch von dieser Anstalt in unseren Gegenden viel Gutes, wenn der Mann
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nur im Stande wäre sich die Grille der allgemeinen Religion aus dem Kopfe zu lassen, welches die meisten Eltern von ihm abschröckt und worüber er sich hoffentlich auf eines andern besinnen wird. Es ist für ihn, so wie für unzähliche Protestanten ein Unglück, daß jemals ein Luther gelebt hat. Nachdem er Berge ausgehoben, wollen sie mit eben dem Geräusch Strohhälmchen wegschaffen.
Sie werden mich durch eine umständliche Nachricht von Ihrer Anstalt unendlich verbinden. Herrn P. Lerse bitte viel schönes zu sagen. Ich schmecke itzt die ganze Wollust der Einsamkeit auf den Kontrast des Hofes.
Lenz.
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am linken Rand der vierten Seite, vertikal
left
Meine Adresse ist in Weymar an Herrn geheimen Legationsrath Goethe, oder lieber an Hofrath Wieland, weil erster itzt gleichfalls auf dem Lande ist.
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am unteren rechten Rand der ersten Seite Empfangsvermerk
bottom right
Gottlieb Konrad Pfeffel
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am linken Rand der zweiten Seite, vertikal
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am linken Rand der vierten Seite, vertikal
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Provenienz
Marbach, Deutsches Literaturarchiv, A:Pfeffel, Gottlieb Konrad. Zugangsnummer HS.2005.0001.00073. Mediennummer HS001731331.