Weymar d. 20sten Sept. 1776.
Meine theuersten Vaterbrüder!
Seit vier Jahren, da ich Sie zum letztenmal sah, wälze ich mich nun schon in der Welt auf und nieder, bis mich die Vorsehung endlich nach Weymar geführt hat, welches ich wohl sobald nicht verlassen werde. Die Erinnerung von Ihnen hat mich überall hinbegleitet und ich werde nie aufhören zu fühlen daß ich für alle die Freundschaft und Güte die Sie mir in Cöslin und Colberg erwiesen, Ihr beständiger Schuldner bin. Der Himmel verwandle meine Wünsche für Sie und die Ihrigen in Seegen und Glück, bis er mir Gelegenheit giebt, mehr als Wünsche zum Beweise meiner unveränderlichen Zärtlichkeit besonders für die letzteren sehen zu lassen. Unter diesen erinnere ich mich besonders meines kleinen Vettern in Colberg, des allerjüngsten, der mir soviel Freude durch seinen Anblick gegeben hat.
Ich bin schon seit dem Aprill in Weym. Bitte mir doch die Nachrichten
sobald es möglich,
gütigst zukommen zu lassen. Von meinem Großvater erwähnen Sie nicht, wenn ich bitten darf.2
Darf ich Sie zum Beweise daß Sie mich nicht ganz vergessen haben, bitten, mir doch alles was Sie von den Lebensumständen und Schicksalen Ihres seeligen Großvaters und Eltervaters wissen unter der Adresse des Hr. geheimen
Legationsrath Goethe
in Weymar
mitzutheilen. Ich erinnere mich von meinem Vater soviel gehört zu haben, daß der erstere im dreyssigjährigen Kriege gedienet und der andere wo mir recht ist Staabsoffizier gewesen. Diese Nachrichten, wenn sie mir aufs eheste gegeben würden, könnten mir
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besonders jetzt ungemein vortheilhaft werden. Ich bin so frey besonders meinem jüngsten Hn. Onkel mit diesem Auftrage beschwerlich zu fallen, dessen Güte für mich schon bey so manchen Gelegenheiten mich ihm vorzüglich verbindlich macht. Sollten allenfalls die Vaterbrüder in Cöslin mehr Spezielles von Ihrem Grosvater
wissen so bitte doch, sich desfalls an sie zu wenden.
Die Ursache warum ich gerade diese Nachrichten mir ausbitte, würde Ihnen auseinanderzusetzen die Grenzen eines Briefes überschreiten. Seyn Sie übrigens versichert daß es mir auch an diesem Hofe wohlgeht und daß ich wohin mich auch mein Schicksal verschlägt mich jederzeit mit der wärmsten Hochachtung Ergebenheit und Liebe nennen und zu beweisen suchen werde als Ihren
ganz ergebensten Neffen
Lenz.
Lenz.
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Herrn
Herrn Heinrich
Jakob Lenz
berühmten Handelsmann
zu Colberg in Pommern