Neuenburg, 10. Juli 1777
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Jakob Michael Reinhold Lenz
Johann Heinrich Füssli (Zürich)
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Neuenburg d. 10ten Julius 177
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Noch einmal muß ich Ihnen mein theurester Freund und Gönner! mit einem Briefe und einigen Zumuthungen beschwerlich fallen, zu denen mir nur Ihre mir bisher erzeigten Gütigkeiten Muth genug einflössen. Ich habe bey Hn. Hofrath Schlosser einen seiner alten Bekannten, einen Baron v. Hohenthal, Sohn des Chursächsischen Ministers angetroffen, der sich längst vorgenommen eine Reise durch die ganze Schweitz zu machen und sich zu dem Ende schon mit den hinlänglichen Adressen versehen; dieser bewegte mich ihn auf derselbigen zu begleiten und die Hofnung einige der interessantesten Aussichten die ich in meinem Leben gehabt wieder zu sehen, hauptsächlich aber meine würdigen Bekanntschaften in Zürich wieder zu erneuren und gründlicher zu benutzen, machten mich bald einwilligen. Wir machten den Anfang mit der französischen Schweitz und schon im Wagen zwischen Solothurn und Neuburg, noch mehr aber hier, wo der Rath einiger Bekannten des Barons dazugekommen ist, haben
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wir unsern Entschluß nicht sowohl geändert als erweitert, das heißt uns vorgenommen, wenn wir über Genf Lausanne Vivis durch das Walliser Thal nach dem Furka gekommen, von dort über den Gotthard und von da – in das glückliche geliebte Italien zu gehen, dort so geschwind als möglich und als es uns die Jahreszeit die wir zur Rükkehr abpassen müssen, erlauben wird, alles zu sehen was sehenswerth ist und was wir erreichen können, das heißt zum allerwenigsten Mayland, Florenz, Rom – wo möglich auch Neapel – und wenn uns Zeit übrig bleibt Venedig u. Genua – doch die letztern Oerter stehen noch auf der
terra incognita
unserer Reisekarte, die drey erstem aber sehen wir
gewiß
und Neapel, wenn die Hitze uns nicht abhalten sollte, mit vieler Wahrscheinlichkeit. Der Baron hat schon Verfügungen in Ansehung seiner Geldremessen getroffen, das einzige was uns fehlte und womit er sich nicht versehen hat, sind anderweitige Empfehlungen an gute Häuser in diesen
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Hauptorten, weil wir schon auf dem kurzen Anfang dieser Reise erfahren gelernt, mit welchen unschätzbaren Vorzügen diese eine Reise auszeichnen, die nicht wie die meisten der Herrn Engländer und Franzosen ein bloßes Postlauffen und Begaffen, sondern eine Spekulation für unsere ganze Weltkenntniß und künftiges Leben seyn soll. Hier also mein würdiger Freund ist es, wo wir Ihrer Hülfe bedürfen. Sie haben Italien gesehen und kennen darum mehr als die
Cicerone:
nach Mayland haben wir von hier Kaufmannsadressen, aber die Wege zu Bekanntschaften von Leuten die Ihnen ähnlich sind in Mayland Rom Neapel, sind uns noch nicht geöfnet, zu Leuten auf deren Kenntnisse wir bauen, deren Herz uns ihre Gefühle für das was wir aus der Entfernung oft nur unter Nebeln erkannten, mitzutheilen, Liebhaber der Menschheit genug ist. Wir möchten gern auf unsere Reise stolz, wieder zurück in Ihre Arme fliegen und Ihnen mittheilen, was Sie jetzt durch unsere Augen, zwar wie durch schlechte Ferngläser, zum andernmal sehen sollen. Wollen Sie meine Bitte erhören, so schicken Sie
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uns einige Briefe nach Rom, Neapel
etc.
ins Urserental an Herrn
Amman Meyer,
der mich nun kennt, mit einigen Zeilen, sie uns aufzubewahren bis wir selbst abholen. Hoffentlich hat er meinen Namen nicht vergessen, wenigstens wird sich seine Tochter die ich abgezeichnet meiner erinnern. Sollten einige andere Ihrer u. meiner würdigen
Zürcher-
Freunde in Italien Bekanntschaften haben, und wollten ihre Gütigkeilen gegen mich bis dahin ausdehnen, so würd ich bey meiner Wiederkunft, wo ich meinen Reisegefährthen Ihnen bekannt zu machen hoffe, (er ist einer der gesetztesten jungen Edelleute die ich in meinem Leben gesehen, fast ein wenig zu ernst) Ihnen den empfindlichsten Dank dafür wissen. Wollten Sie so gütig seyn und noch eine kleine Instruktion, derjenigen ähnlich die Sie uns in die Berge mitgaben, von allen Merkwürdigkeiten und der Ordnung in welcher wir sie sehen sollen nebst anderweiten Aufträgen an verdienstvollen Leuten dieser Orte beylegen, und uns arme kaum flügge Reisende auf diese Art auf Ihren Flügeln über alle diese Wunder und Geheimnisse unterrichtend forttragen, wie Sie es schon in den Eißgebirgen gethan, so würde das Edle dieser That destomehr Genugthuung für Ihr Herz haben.
Empfehlen Sie mich Ihrer liebenswürdigen Schweitzersängerinn aufs schönste, im gleichen Dero Hn. Vater u. sämtlichen Angehörigen und erfreuen mit einer Antwort Ihren ganz ergebenen Wanderer
Lenz
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Am linken Rand, vertikal
left
Unbeschwert bitte doch Einlage Hn. Sarasin in Basel zukommen zu lassen und wenn er antworten sollte (worauf aber doch über 2 Posttage nicht zu warten bitte) seinen Brief gütigst dem Ihrigen an Landamman Meyer beyzuschliessen.
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Am linken Rand, vertikal
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Provenienz
Zürich, Zentralbibliothek, Ms. M 1.183, Nr. 4. Einlage nicht ermittelt.