Zürich, 10. Oktober 1777
Der Brieftext wurde anhand des Originals kritisch geprüft.
Jakob Michael Reinhold Lenz
Jakob Sarasin (Basel)
LKB
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Den 10. 8br. 1777.




Ich befinde mich nicht wohl, lieber Freund! und will deßwegen Morgen eine kleine Reise zu Hn. von Salis thun. Füeßli war sehr gerührt über das Lob das Sie ihm beylegen. Herrn Rathschreiber Iselin bitte doch gelegentlich zu sagen, die Briefe die Herr v. Kleist empfangen haben könnte, würden mich eben so sehr interessiren, da überhaupt sein Leben selbst unter seinen Verwandten mit denen ich in Verbindung stehe viel zu wenig bekannt ist. Er wird mich dadurch ungemein verbinden. Was Küttner anbetrift, so muß ihm die Bekanntmachung eines Briefs aus seinem Portefeuille eben so unangenehm seyn, als mirs vorkommen würde, wenn man Particularbriefe von mir ohne mein Wissen drucken liesse. Er wird am besten thun, wenn er ganz stille dazu schweigt, es ist des Lärmens ohnehin genug.
Hier folgen die verlangten Silhouetten mit den wärmsten Empfehlungen von dem mit Geschäften überladenen Lavater und seiner erst matt aufkriechenden Frau. Ihrer Frau Gemalinn aber in dem Zustande zu schreiben in dem ich bin, wage ich nicht. Dürft ich um Ihre beyden Silhouetten bitten, Lavater will sie mir nicht geben.
Wohl Ihnen daß Sie mit Ihrer neuen Anstalt nicht so
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poetisch anfangen, wie der arme Salis den ich itzt besuchen will und der letzt hier war. Pfeffeln einen Kuß für mich, Herr Peil hat mir mit seinen Erzehlungen von Colmar viele Freude gemacht, besonders bey Geßnern wohin ich ihn führte u. wo er recht in der Laune war.
Ist Schlosser bei Pfeffeln gewesen und in welcher Laune? – Seyn Sie so gütig mich darüber zu berichten.
Hier in Ermangelung eines Liedgens an
„Ihr Weib und Schinznach“
das ich schuldig bleibe bis Cörper und Gemüth bey mir in bessern Umständen sind – – (den Vornahmen der ersteren möchte’ ich mir doch ausbitten) ein Liedgen auf Schlossers jüngstes Kind.
Lassen Sie sichs wohl seyn, der Himmel hat noch viel für Sie aufgehoben.
JMR Lenz.



Kaufmann muß allem Vermuthen nach hieher unterwegs seyn, es sind schon Briefe für ihn da. Er hat viel Ungemachs erlitten, Seesturm u. s. f.

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Willkommen kleine Bürgerin
Im bunten Thal der Lügen!
Du gehst dahin, du Lächlerin!
Dich ewig zu betrügen.



Was weinest Du? die Welt ist rund
Und nichts darauf beständig.
Das Weinen nur ist ungesund
Und der Verlust nothwendig.



Einst wirst du, kleine Lächlerin!
Mit süsserm Schmerze weinen
Wenn alle deinen treuen Sinn
Gott! zu verkennen scheinen.



Dann wirst du stehn auf deinem Werth
Und blicken, wie die Sonne
Von der ein jeder weg sich kehrt
Zu blind für ihre Wonne.




Bis daß der Adler kommen wird
Aus fürchterlichen Büschen,
Der Welten ohne Trost durchirrt –
Wie wirst du ihn erfrischen!



Viel Empfehlungen Ihren kleinen Eydgenossen in Pumphosen. Auch deren Namen schreiben Sie mir doch einmahl auf.
Ich bitte die Verse nicht weiter zu weisen.
Provenienz
Basel, Staatsarchiv, PA 212 F 11, 27, 10, Nr. 11.