Straßburg, d. 31. Juli 1775.
– – Wenn ich mich recht erforscht habe, so ist der höchste Wunsch unseres Geschlechts bey dem Ihrigen auf eine
schmeichelhafte
Art geliebt zu sein; vielleicht ist der höchste Wunsch des Ihrigen bei unserm, auf eine vorzüglich edle Art geschätzt zu werden
Ganz inwendige Thränen muß ich Ihnen über Ihren 37sten Brief schreiben, der die andern alle verschlingt. Das Höchste und Beste, was eine weibliche Hand jemals nieder geschrieben hat. Ja, meine Mutter! – Die Männer wollen nicht geliebt, nur geschmeichelt seyn. Die größesten sind für die Besten Ihres Geschlechts verloren, und das kämmt, weil sie das schöne Gebiet des moralischen Kreises zu durchwandern verachten.
So wollustvoll mir der 27ste, so unterrichtend war mir der 25ste, der mit dem 26sten das Kleeblatt ausmacht, das ich aus diesem Blumenstrauße vorzüglich an mein Herz drücke. Welch ein Licht wirft er auf Ihr Bild, erhabene Seele! Ja! sollten Sie mich hassen, so würde mir Ihr Haß werter sein, als die Liebe einer andern Frau.
welcher Simplicität da eine Wahrheit in die Welt hineingewälzt ist, die so lange dauren wird, als die Welt steht. In dem ganzen Briefe ist mehr Weißheit und tiefe Weltkenntniß, als in hundert Alphabeten, die ein Wieland geschrieben hat, und schreiben könnte.
Der hat eine vortrefliche Advocatin an Ihnen und ich wünschte, ich könnte mich nun wieder mit ihm aussöhnen, obschon von seiner Seite dazu nun wohl keine Wahrscheinlichkeit mehr seyn möchte, nachdem ich
öffentlich
sehr polternd mit ihm gebrochen. Wie gesagt; er soll uns nicht Philosoph und Lehrer des menschlichen Geschlechts seyn wollen, und seine Sachen für das geben, was sie sind. Die Ursache, die Sie angeben, von dem Wege, den er genommen, macht mir ihn auf dieser Seite von neuem liebenswürdig, und vom Himmel herab kann nichts anders zu seiner Vertheidigung gesagt werden.
Warum gehen Sie denn so freundlich mit mir um, da ich in Ihrem Briefe, mit der gefaßtesten Seele, nichts als den strengsten mütterlichen Tadel über mein Stück erwartete? Wie? Sie Ihren Einsichten nicht trauen? – Oder wollten Sie vielleicht, so auf eine höchst feine Art, das wieder zurück nehmen, was Sie mir zur Aufmunterung sagten, und das in der That mir für mein ganzes Leben neuen Schwung gegeben hat. O! Sie, im allereigensten Verstande, meine Mutter! Lassen Sie mich nun auch Ihre mütterliche Züchtigung erfahren! Ich keime den Zirkel der feinem Welt noch nicht so genau, oder vielmehr, ich habe meine Achtsamkeit noch nicht so anhaltend auf denselben gewendet. Ihrem zarten und feinem Gefühl muß manches in meinen Stücken hart, unanständig und ungezogen auffallen. Das war es, was ich von Ihnen zu meiner künftigen Besserung zu erfahren wünschte; denn an meinen einmal geschriebenen Stükken feile ich nie. Ich habe es einmal thun wollen, es hätte mich aber fast das Leben gekostet, und Göthe ist auch da mein Retter gewesen.
Dürfte ich Sie um Ihre Gouvernante Deutsch bitten, da Ihr deutscher Styl so unzählige Grazien hat – was auch der mir
darum
so verhaßte Wieland in seinen Vorreden darüber deraisonnirt. Sie können das Feine und doch dabei so Simple, (das eigentlich das wahre Erhabene macht,) in Ihrem deutschen Styl so wenig selber sehen, als Ihr Gesicht.
Ich habe mit Göthen Göttertage genossen, von denen sich nichts erzählen läßt. Sie werden ihn, meyne ich, nun bald sprechen.
Um Wielands willen bitte ich Sie auf meinen Knieen, sagen Sie mir alles, was zwischen ihm und Ihnen jemals vorgefallen ist. Ich möchte dem Mann nicht Unrecht tun, und wenn ich ihn zu hart gestoßen habe, und er eher Mitleiden verdient, ihm gern wieder Genugthuung geben.
N. S. Ich habe Ihren Brief erhalten, gnädige Frau. Ja! ich gehe nach Italien. Diesen Winter werde ich wohl in Genf zubringen, um mich zu dem großen Fluge anzuschicken. Wenn ich in der Schweiz die Berge, in Italien die Statuen, in Holland die Festungen, in Frankreich Rousseau, in Engelland das Theater werde gesehen haben, so komm’ ich zurück zu Ihren Füßen; Sie, meine Muse, sollen mich auf neue Bahnen leiten. O die Ruhe dann! – Götteraussichten, wie kräftig durchströmen, erfrischen Sie mich. Wie? Sie wünschen mir eine Geliebte? Welche Güthe der Seele ließ Sie gerade den Wunsch thun. O daß die – Ihr Bild trüge – obschon ich Sie beide nicht kenne. Nach Ihrer beider Briefen zu urtheilen, muß eine wunderbare Übereinstimmung in Ihrer ganzen Art zu denken, zu leben, und die Sachen anzusehen seyn. Eine Gnade! Fragen Sie nie nach ihrem Namen; auch Göthen nicht.
Ihr Bild, gnädige Frau! Hintergangene Hoffnung ist das größte Unglück. Und wer kann wissen, ob ich lebendig wieder komme.