Straßburg, 23. Oktober 1775
Der Brieftext wurde anhand des Originals kritisch geprüft.
Jakob Michael Reinhold Lenz
Friedrich Wilhelm Gotter (Gotha)
LKB
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Ich danke Ihnen für Ihre Freundschaft und Ihr Andenken. Mein Schicksal ist jetzt ein wenig hart. Ich gebe vom Morgen bis in die Nacht Informationen und habe Schulden. Alles was ich mit Schweiß erwerbe fällt in einen Brunnen, der fast keinen Boden mehr zu haben scheint. Mein Glück in meinem Vaterlande ist verdorben, weil es bekannt ist, daß ich Komödien geschrieben.
Sehen Sie dies offenherzige Gemählde meines Zustandes als einen Beweiß meiner Freundschaft an und gehn behutsam damit an. Sie haben kein Herz, das eines unglücklichen Freundes Vertrauen zu mißbrauchen, achzehnjährhundrigt genug seyn könnte. Ich habe in der That ein kleines Stück in meinem Schrank liegen das allenfalls auch spielbar seyn würde. Fragen Sie Herrn Sei
del
ler, ob er mir sechs sieben Dukaten dafür geben möchte, ich bin nie gewohnt gewesen, meine Sachen zu verkauffen, die höchste Noth zwingt mich dazu.
Doch hoff ich Herrn
Seidel
Seiler wird der Kauf nicht reuen. Es ist eine Nachahmung der
captivei
im Plautus. Noch einmal Gotter – Verschwiegenheit. So umarmet Sie
Lenz.

Strasb. d. 23ten 8br. 1775.


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Sie machen, höre ich, eine Sammlung von Ihren Gedichten. Das wird mich freuen. Auf Subskribenten könnten Sie hier zählen. Geben Sie mir allenfalls Nachricht davon.


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Herrn
Herrn
Gotter

Archivarius
in
Gotha.
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Provenienz
Kraków, Biblioteka Jagiellońska, Lenziana 5, Nr. 2.