Hannover, 19. Mai 1776
Der Brieftext wurde anhand des Originals kritisch geprüft.
Heinrich Christian Boie
Jakob Michael Reinhold Lenz (Weimar)
LKB
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Hannover. Den 19ten May. 76.


Ich war im Begriff Ihnen zu schreiben, und Ihnen das zu schicken, worum Sie mich gebethen hatten, als ich Ihren Brief vom 12ten erhielt. Diesen Brief von
Ihnen an mich!
– wo mir was in meinem Leben unerwartet gewesen ist, so war’s dieser Brief. Ich habe gewartet, bis ich kalt geworden bin, und will Ihnen nun auch von meiner Seite das lezte Wort in dieser Sache sagen, die mir wahrlich! von Anfang an keine Freude gemacht hat. Was hab ich davon gehabt? Mühe, Kosten, Verdruß, Plackerey! Und warum? Weil ich Sie schätzte, Sie liebte! Es war Uebereilung von mir, von Einer Seite nicht zu verzeihende Uebereilung, daß ich mich mit den W. einließ. Hernach hab ich mir nichts mehr vorzuwerfen. Wenn Sie in irgend einem Vorfall Ihres Lebens einen treuern, wärmern, uneigennützigem Freund finden, so wünsch ich Ihnen Glück. Mich hat mein Herz wieder zu weit geführt. Ich wills künftig fester halten.
Mein Freund Helwing, wenn Sie wollen (aber nur durch Sie mein Freund! denn vorher kannt ich ihn nicht) ist ein ehrlicher Mann, und Sie haben von seiner Seite nichts zu befürchten, obgleich die gedruckten Exemplare der W. noch nicht in meinen
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Händen, und folglich noch nicht verbrannt sind. H. ist ein wohlhabender Mann, der um eines kleinen Vortheils willen, sein Wort nicht brechen wird; dabey bin ich ganz ruhig. Hier sind alle seine Briefe. Wenn ich vorausgesehen hätte, was nun geschieht, so hätt ich auch Abschriften von den Meinigen genommen, und sie ohne ein Wort weiter beygelegt. Bey kältern Blute würden Sie sich allein daraus Ihres Verdachts geschämt haben. Ich hab Ihnen längst geschrieben, daß er G. für den V. hielt, aber Sie haben nie darauf geantwortet. Daß G. im Meßkatalogus als V. der Comedie genannt ist, hat mich wie Sie bestürzt und geärgert. Wenn ich nicht endlich Sie ihm genannt hätte, hätte H. ihn auch auf dem Titel als Verfasser genannt. – Ich hatte H. geschrieben, mir die Exemplare der W. vor der Meße hieher zu schicken. Er war abgereist, eh ichs wuste, u. wir müßen nun warten bis er von der Messe zurück kommt. Da soll er sie mir gleich schicken, und sie sollen unter meinen u. Z.s Augen verbrannt werden, ohne daß Ein Exemplar übrig bleibe.
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Ich habe mich wohl gehütet, H. Ihren Brief zu schicken, da er noch das Schwert in Händen hat. Er möchte nicht so kalt seyn können als ich. Daß ich nicht mehr von ihm habe bekommen können, ist mir leyd genug. Aber kann ich die Buchhändler uneigennüziger machen? Ich habe versprochen, daß ich mehr zu erhalten suchen würde, wenn ich ihn hier sähe, und das Versprechen halt ich, wie das erste, daß ich nicht eher ruhen will, als bis die Exemplare verbrannt sind, die Sache mag eine Wendung nehmen, welche sie will. Sie können mich sogar angreifen, wenn Sie wollen, und deßwegen soll doch keiner durch mich die W. zu sehen bekommen, wie sie keiner gesehn hat, als Z. der vorher davon wuste.
Ihre Drohungen will ich vergeßen. Es schmerzt mich nur, daß
Sie
sie gegen mich brauchen
konnten.
Ich habe keinen litterarischen Ruhm zu verlieren; also bin ich gleichgültig dabey. Das Bewustseyn als ein ehrlicher Mann gehandelt zu haben, können Sie nicht, kann mir keiner rauben.
Boie
Provenienz
Riga, Latvijas Akadēmiskā Bibliotekā, Ms. 1113, F. 25, V. 32, Nr. 8.