Zürich, 16. September 1777
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Jakob Michael Reinhold Lenz
Jakob Sarasin (Basel)
LKB
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Ich sollte freylich Ihre Briefe noch unbeantwortet lassen und (wie es meine löbliche Gewohnheit sonst ist) so lange unbeantwortet lassen, bis ich mich Ihnen und Ihrer Frau Gemalinn wieder mit Ehren weisen könnte, so aber möchten Sie denken, ich wäre schon auf meiner dritten Schweitzerreise und da ich doch würklich noch in Zürich bin, kann ich mit meinem Gewissen nicht fertig werden, Ihnen den Dahk den Ihnen unter einer Menge Zerstreuungen mein Herz für Ihre Briefe und die Bekanntschaft mit unsrer zweyten Aktrisse hatte, nicht weiß auf schwarz (oder schwarz auf weiß vielmehr) hinzusetzen. Ich habe zwar zwey schöne Stunden bey unserm Füeßli an ihrer Seite gesessen, da aber die Gesellschaft zu groß war, bey weitem nicht in die Beziehung mit ihr kommen können, in der billiger Weise der Lügner mit den Personen stehen sollte, die freundschaftlich genug sind seinen Lügen den Werth der Wahrheit zu geben. Auf den Winter hoffe ich diese Bekanntschaft besser anzubauen und wie glücklich würde ich mich schätzen, Ihnen, freylich nur mit dem Vorbehalt daß Sie selbst und Ihre Freunde dabei das beste thun! ein Paar düstere Abendstunden wegscherzen zu können.
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Wie beschämt ich bin Ihnen eine Mühe die für mich so vortheilhaft gewesen wäre, umsonst gemacht zu haben, mag Gott der DonQuixotischen Laune verzeyhen in der Hohenthal und ich unsere Reise nach Italien entwarfen. Indessen bitte mir diesen Brief nebst dem Codizill wenn ich dessen würdig, als ein Denkmal Ihrer Gesinnungen für mich aufzubewahren bis ich nach Basel komme.
Herr Usteri hat mir das Compliment ausgerichtet und mich nicht wenig glücklich damit gemacht. Sagen Sie Ihrer Frau Gemalinn daß Mad. Im Thurm aus Schafhausen, ein Herz das ihrer Freundschaft würdig ist, mit nicht weniger Stolz mir einen Brief von Frau Gerichtsherr Sarasi gewiesen, in welchem ich um meiner Poetischen Eitelkeit die uns doch zur Begeisterung oft so noth thut wie das Wasser einem Mühlrade, den höchsten Schwung zu geben, mit Triumpf meinen Namen fand.
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Eine liebe Patientin die mir noch jetzt so oft von den allzukurzen Augenblicken erzehlt wo sie die Bekanntschaft Ihrer Lykoris gemacht, hat ihre neue Freundinn aus Schafhausen so sehr an ihr Krankenlager gefesselt daß sie in Zürich keinen Augenblick finden konnte nach Basel zu schreiben und sich dieses schmeichelhafte Vergnügen auf Schafhausen vorbehielt
Uebrigens ist die hohe See der politischen Angelegenheiten jetzt in Zürich ein wenig unruhig, der Tod des Statthalter Eschers und die Unzufriedenheit der Bürger mit der langen Verzögerung der Berathschlagungen des Magistrats mit ihnen über das Geschäft zu Solothurn, haben auf dem Rathhause in den Tempeln und in der Stadt manche Bewegungen verursacht, die mir als einem auflauernden Zuschauer und vielleicht einstigen epischen Dichter über Schweitz und Schweitzer
angelegenheiten,
ausserordentlich interessant waren.
Leben Sie glücklich und empfehlen mich Ihrer theuersten Frau Gemalinn als Ihren in höchster Eil ergebensten


Zürich. d. 16ten Septbr. 1777.
Lenz

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Provenienz
Basel, Staatsarchiv, PA 212 F 11, 27, 10, Nr. 8.