Hochedelgebohrner Herr
Insonders hochzuehrender Herr Rathsschreiber
Insonders hochzuehrender Herr Rathsschreiber
Nur zu lange habe ichs anstehen lassen Ihnen mein verehrungswürdiger Freund und Gönner für alle Ihre mir in und ausser Basel erzeigten Gütigkeiten schriftlich meinen verbindlichsten Dank abzustatten, da ich mir diese Genugthuung bey meiner Unschlüssigkeit in Zürich zu bleiben, immer Persöhnlich vorbehielt. Die Personen an die Sie so gütig waren mir und Hn v. Hohenthal Adressen mitzugeben, der bey seiner Rückreise seine Aufwartung zu machen nicht ermangelt haben wird, verdienen in der That alle Aufmerksamkeit und Achtung der Reisenden, besonders Herr Tscharner in Rolle, von dem wir viele Gegenempfehlungen zu versichern haben. Herr Schmidt in Nion ist vollkommen so, wie Sie ihn beschrieben, doch hat sein lichtbraunes Auge bey all seiner Schüchternheit einen weiten Blick.
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Mein gegenwärtiger Aufenthalt in Zürich wird mir täglich interessanter und ich werde mich genöthigt sehen ihn zu verlängern, wenn ich alle die Vortheile daraus ziehen will, die er mir in mehr als einer Rücksicht anbietet. Die Nachbarschaft der kleinen Cantons macht ihn mir, solange die Witterung noch günstig, doppelt so wichtig und die Persöhnlichen Bekanntschaften die sich hier wegen mehrerer Zerstreuungen langsamer machen, sind desto anziehender, je länger man sie kultivirt. Die Streittigkeiten unter den Gelehrten sind ein blosser Nebel den unbehutsame Reisende durch herausdämpfung ihrer Eigenliebe um sie herumgezogen und der verschwinden würde so bald jeder sein ganzes Verdienst kennte. Das meiste aber wie gesagt, in diesem Zauber- und Schwindeltrank ist von Fremden hineingemischt, denen ich bey Gelegenheit eine kleine Lektion zu geben hoffe, damit sie uns andern die weniger Extrapost reisen, das Spiel nicht verderben
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Herr Brydone soll, wie mir Herr Geßner sagte, in Lausanne an Briefen über die Schweitz schreiben, ohnerachtet er in Zürich nur einige Tage gewesen. Vielleicht wissen Sie mehr davon. Der Reichthum seines Witzes und Phantasie kann uns freilich für vieles wahre entschädigen, das indessen doch auch seinen anderweitigen Werth behält.
Von den hiesigen Unruhen werden Sie anderweitige Nachrichten haben, die ein Fremder nie mit der Gründlichkeit geben kann. Soviel dünkt mich, daß ein Kopf doppelt so wichtig seyn muß, der
Plane
in Republicken ausführen will und dieser Kopf dünkt mich ist an der Spitze der Züricherregierung, auf dessen persöhnliche Bekanntschaft die ich in dieser Woche noch machen soll, ich mich zum voraus wo nicht Physiognomisch, doch Physiognomik ahndend freue.
Daß Herr Lavater in einem Allmanach von Prof. Lichtenberg aus London angegriffen worden, wird Ihnen vielleicht baldigst bekannt werden. Desto besser fürs Publikum das mit seiner Gegenantwort hoffe ich zufrieden seyn wird. – Er hat neulich ein trefliches Christusgemälde von
West
aus England zum Präsent erhalten, über die
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Worte: Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder etc. Ich habe mich daran nicht satt sehen können, in den nächsten Band der Physiog. kommt ein Stich davon
Das wären unsre hiesigen Neuigkeiten, erlauben Sie mir daß ich mit einer Bitte beschliesse. Hr. Geßner hat mir gesagt, es existirten noch eine ganze Sammlung von Briefen des seel. Kleist, die durch einen Kaufmann in Ihre Hände gekommen in Ihrer Verwahrung. Nicht um die Beziehungen die diese Briefe auf die Schweitz haben können, sondern nur um des Persöhnlichen willen, das von dem Charakter und Meinungen dieses mir aus hundert Ursachen doppelt wichtigen Dichters darinne durchscheinen muß, wünschte ich sie zu sehen und zu studiren. Ich wollte diese Neugier gern bis Basel zähmen, wenn nicht andere dringende Ursachen mir die Ansicht
dieser Briefe in Zürich
wünschbar machten. Ich verspräche Ihnen wenn Sie es verlangten die heiligste Verschwiegenheit und Geheimniß mit diesen Briefen an Eydes statt. Er hat sich hier eine Zeitlang aufgehalten, wie er gesehen hat, wünschte ich zu sehen und das gleichfalls aus Ursachen die ich Ihnen nur erst in der Zukunft besser erklären kann.
Herr Gerichtsherr Sarasi wird die Gütigkeit haben diese Briefe wenn Sie sie mir auf einige Wochen anvertrauen wollten, in Bürgschaft zu nehmen. Nach gehorsamsten Empfehlungen an die Frau Gemalinn und verehrungswürdiger Familie verharre
Dero ergebenster Diener Lenz.