Schloß Hegi d. 26. 9br. 1777.
Es würde meine innere Ruhe auf ewig stöhren, wenn ich, Verehrungswürdigster Herr Doktor! durch meine gutgemeinten Gespräche über Religiose Gefühle und dann über Ihren Freund Lavatern – Anlaß zu einigem Verdacht gegeben haben könnte als ob auch nur ein einziges Wort das ich gesprochen, durch etwas anders als die damalige Lage meiner Seele die durch meine eben vollendete Bergreise gespannt war, könnte veranlaßt worden
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seyn; auch bin ich überzeugt, daß Sie dieselbe in diesen Augenblicken so wenig verkannt haben, als Sie sie noch jetzt, wenn Sie sich alles das was damals vorgegangen, in einem ruhigen Augenblick vergegenwärtigen wollten, verkennen werden und können. Mein Aufenthalt in dem Hause des Herrn Pfarrers Lavaters sollte mich freylich in meinen Reden und Handlungen ein wenig fürsichtiger gemacht haben, wenn man bei einem dringendem Herzen nur fürsichtig bleiben könnte
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und ich durch fatale Schriftstellerverhältnisse hinaufgeschraubt, alle politischen Reservationes mentales
für Cruditäten in meinem Gewissen zu halten, nicht beruffen gewesen wäre. So wenig aber Herr Pfarrer Lavater von meinem Besuch bey Ihnen wußte, da ich eben von ihm auszuziehen willens war und schon die Nacht ausser seinem Hause geschlaffen; so wenig, wie ichs mit dem theuresten Eyde bekräftigen kann, hat er an irgend einem Wort das ich bey Ihnen gesprochen Antheil gehabt, vielmehr bin ich versichert, daß er meine ganze Art zu seyn, nach seinem Gesichtspunkt diesesmal äusserst tadelhart ge
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funden haben würde. Da nun aber jeder für sich
Rede stehen muß und ich übrigens im Schooß Ihrer Familie für allen Mißdeutungen meiner Absicht sicher zu seyn glaubte; so habe ich diesesmal lieber eine scheinbare Unbescheidenheit wagen, als über gewisse Punkte Ihrer Art zu denken und zu fühlen unaufgeklärt und in meinem Urtheil von Ihnen falsch bleiben wollen. Nahmen Sie einen Anstand an dieser Behandlungsart, so bitte ich Sie ganz und gar an mir zu ahnden, als aus dessen Charakter und Genie sie ganz allein
geflossen, übrigens aber versichert zu seyn, daß mich fremde Meynungen, wenn sie nicht schon vorher in diesen gelegen, niemals verändern können – Uebrigens brauch ichs Ihnen, würdigster Herr Doktor! nicht zu versichern daß meine Absichten bey meiner Schweitzerreise, da das Richteramt mein Beruf nicht ist niemanden zum Schaden gereichen können. Mit der ehrerbietigstell Empfehlung an Ihre Gemalinn und Familie nenne mich
Dero gehorsamsten
Diener Lenz.
Diener Lenz.