Zürich, 10. Mai 1774
Der Brieftext wurde sekundär überliefert.
Johann Caspar Lavater
Jakob Michael Reinhold Lenz (Straßburg)
LKB
O ihr gute Kinder – nicht
meine
– Gottes!! Kinder, denn wir alle sind
Brüder
, – wie gewinn’ ich euch so lieb! wie gern mögt’ ich euch sehen u: ans Herz drücken– und ich glaub’, es wird uns so gut – u: wenn’s nur in 16. Wochen – u: dann nur ein Stündchen möglich ist, ists VaterZärtlichkeit deßen, in dem wir leben, weben u: sind –
Wenns Gott ausführt, was er angefangen hat, so reis’ ich in 7. oder 8. Wochen ins Schwalbacher, oder ein ander Bad in der Gegend. Auf Briefe, die ich alle Posttage von Zimmermann erwarte, wirds ankommen, wohin eigentlich, wann u: welchen Weg ich reisen werde? Aber entweder in der Hinreise oder Rückreise werd’ ich, wenn’s Gott will, über Straßburg gehn – nun mögt’ ich ehestens, so sicher wie möglich wißen–
Wann es Ihnen, mein lieber Lenkze, am schicklichsten wäre, daß ich Sie besuche? Wann ich Sie am wenigsten verfehle? am sichersten genießen könne? in 6 oder in 12. Wochen? Sodann – – wie’s zu machen, daß ich den einen, oder die anderhalb Tage, die ich zu Straßburg seyn soll, denn länger kann ich nicht, – Sie unter der Zahl der 6. oder 8. Freunde, die ich besuchen soll u: will, nicht verliere.
Mir ist ein wenig bange. Den schwachen ehrlichen Seelen mögt’ ich zum Seegen seyn; es liegt mir viel dran – – aber, wo mehr Freyheit ist, mögt’ ich ruhen.
Rathen Sie mir, wie ichs einrichten soll! – könnten Sie allenfalls mir erst ein paar Meilen entgegenkommen – oder mich sodann ein paar Meilen begleiten – oder, wo ich aussteigen,
Logis
nehmen soll. Salzmann hat mich zu sm Vater eingeladen. Herr Hebeisen wird mich vermuthlich auch wollen. Ich aber sehe, daß ich schrecklich schenirt wäre, wenn ich zu dem einen oder andern, oder irgend einem meiner Bekannten gienge. Also werd’ ich, wo möglich, in ein öffentliches Wirthshaus gehen, das Ihnen am nächsten u: bequemsten ist. In welches?
Sodann wollen wir reden, was wir im Herzen haben, wie wenn wir schon 30. Jahre mit einander auf und niedergiengen – und uns unsers Seyns, und Miteinanderseyns u. Ewigseyns freuen –
Aber Ihr Bild muß ich noch vorher haben von der Hand, die Röderern zeichnete, etwas größer als seins seins u: schärfer gezeichnet.
Weiter schreib’ ich izt nichts. Mein Vater ward vorgestern begraben. Ich erhielt Ihren Brief eben, da sein Sarg verschlossen war. Des redlichen Manns Todtenbild sollen Sie haben. – Grüßen u: Küßen Sie Röderer. Er ist mir Bruder.
Weil ich entweder vor oder nach Schwalbach durchs würtembergische muß, so muß ich bäldest meine Einrichtungen machen, u: also schnell Antwort von Ihnen haben. Ich bin, so lang ich bin, Ihr Lavater
Zürich d. 10. May 1774.

Haben Sie die Sachen erhalten? Ihre
Comödie
u: den
März?
Ich glaube Fränkel hat sie bekommen.
Provenienz
Zürich, Zentralbibliothek, FA Lav. Ms. 572, Nr. 18, zg. Abschrift.