Unbekannter Ort, Mitte 1779 bis Ende 1780
Der Brieftext wurde anhand des Originals kritisch geprüft.
Jakob Michael Reinhold Lenz
Johann Christian Lenz (Pernau [Pärnu])
LKB
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Empfindungen
eines jungen Russen

der in der Fremde erzogen
seine allerhöchste Landesherrschaft wiedererblickte.


So ward ich denn noch dazu aufgehoben
Das Angesicht zu sehn, das unter Still und Nacht
Und Sturm und Sonnenschein wie eine Gottheit oben
So manches Tagewerk ausbildend schon vollbracht
Und Völker, welche sie in hundert Sprachen loben
Zu einer Nazion gemacht.
Da stehn sie, um sie her, mit Flammen in den Blicken
Die Glücklichen, den Seegen auszudrüken,
Der ihr seit der Vereinigung,
Von einer halben Welt gelung. –
Da steht der große Geist: der, Muster von Regenten
Doch, keine Mutter sah wie
Hie
die;

Den Friedriche belohnen könnten
Doch glücklich machen nicht, wie
sie.

Sie, die das Ganze zu umfassen
Selbst ihrem Scharfsinn wehrt, sobald er Wesen drückt,
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Die zu Maschinen sich einmal nicht brauchen lassen
Und schienen sie noch so beglückt.
Sie die so menschlich herrscht, daß jeglichem Talente
Die Fessel von den Händen sinkt
Sie
Und
die selbst da, wo Titus zwingen könnte
Nie anders als durch Freiheit zwingt. –
Da steht der schwache Kopf, für den, in dem sie denket
Erstaunt, daß sies ergänzt, an seiner Statt vollendt,
Worauf er hofnungslos die letzte Kraft verschwende
Woran er sich zersann,
verstiegne Plane
daß sie den Schwindel lenket
Und
offt wie
selbst den
Phaeton sanft auf den Boden senket
Damit er keine Welt verbrennt.

☓ ☓ ☓


So
Und
ist denn das die Frau, die über jedes Lob
Das Schwachheit oder Furcht dicktirte
Durch Thaten, die kein Lob berührte
Und durch Bescheidenheit unsterblich sich erhob? –
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Die selbst die Schmeichelei durch unbesungne Schritte
Womit sie nach der Wahrheit rang,
Offt durch das Gegenteil, offt durch die weisre Mitte
Zu heilsamer Beschämung zwang.
Die jede Politick studierte,
Zu lernen nie verschmäht’, auch wenn kein Lob es rieth;
Selbst8 das erschuf, was sie kopierte,
Der Fehler feinsten Anfang mied
Und standhaft, wenn um sie die Staatskunst kabalirte
Selbst da, wo offt ein Pitt nur Zweiffel kalkulirte
Den feinen Schlangenpfad, der zur Vollendung führte
Allzeit mit Sicherheit entschied. –
Die still und sanft ihr Reich auf einen Felsen baute
Auf zweyer Welten Schlangen trat
Und dann – mit
Petern
um sich schaute
Auf einen ewigfesten Staat.
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Ist das die Frau!
Die Frau
die selbst in ihren Kriegen
Noch Muster ist und Herzen nur besiegt
Der die
Sich die
Bezwungnen selbst
Dir froh
mit Dank
zu Füssen liegen
Weil
Du
sie
ihr Unglück nur bekriegt.

☓ ☓ ☓


Wie aber? – jener Blick voll Kraft und doch voll Güte
Der Weise selbst zur Ehrfurcht zwingt,
Mit wundervoller Jugendblüthe
Die Mentors um sich her verjüngt:
Ist das der junge Fürst, der schon so lang sie heget
Gefühle jener Art, wie Peters Brust bewegt,
Und sie verschließt – weil er die Kräfte wäget,
Mit denen er die Welt einst trägt.
O theurer Fürst! der Kenner wird sie finden
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Des Weisen schärfster Blick sie gründen
In Deinem feinsten Zug, wenn er Dein Bild vergleicht
Den Ahnherrn sieht, erblaßt – und schweigt.
Geliebte Majestät! die durch verschwiegne

Geliebte Grösse! die durch sanft verschwiegne Tugend

Die durch zurückgehahne Kraft
Schon jetzt sich eine Welt erschafft
In der sie
Vorbild
ist: sieh unsre beßre Jugend,
Bekannt mit jedem Reitz der Tugend,
Die still und froh in Deinem Beyspiel liest,
Die es
Der es, indem es sie
zur Lust,
wie zu dem
zum
Kampf begleitet,
Sein
Das Saitenspiel
für sie,
so wie den Bogen leitet,
Sie in der Freunden Kreis begleitet

In jeder Klasse Vorbild ist.

Kurz, der, Du Mensch-Apollo bist.
Für diese ists, daß Du die Triebe zwingest
Die dich so menschlich sanft
Die Dich
zum Schutzgestirn erhöhn,
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Und dann im Geist hoch über Wolken dringest
Bis Du auf einmal frei Dich über Wolken schwingest

Zahllose Herzen glühn zu sehn.
Für diese ists, daß sich in Unschuldstänzen
Der süsse Pfeil
Die Liebe Deines Volks
in jeden Busen pflanzt
Und Beyfall, womit nur die freisten Seelen
offt
kränzen
Dein Herz, ganz Güte, sich ertanzt.

Für diese ists, daß eitle Lorbeerreiser
Dies Herz verschmäht und Alexanders Ruhm,
Für einen Blick, der redlicher und weiser
Dir sagt: Du
bist
wirst der Herzen Käiser
Auch meines ist Dein
Eige Heiligthum.
Eigenthum.


Daß das Tanzen, bei dem Zwange, in dem unsere Fürsten leben, die einzige Gelegenheit ist, sich dem Volk vortheilhaft zu weisen und ihre Liebe zu gewinnen, kann man nur beurteilen, wenn man lang an Höfen gelebt hat.

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Ja Prinz! die Frau, die Dich der Welt geschenket
Ward dadurch Mutter auch für mich.
Daß sie der Welten Zügellenket
Ist groß, doch grösser nicht, als das: Sie schenkt’ uns Dich.
Sie gab die Fürstino uns, die
Paulen
glücklich machet ☓ )
Und durch ihn eine Welt, die, wenn er glücklich ist,
Mariens
Schatten seegnend küßt
Von seiner Licht das Echo ist,

Die den in
ihr
verehrt, durch den die Erde lachet
Der keines Staubs darauf vergißt


Lenz.



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Hier lieber Bruder sind die Verse wieder und tausend Dank für die Erinnerungen, die ich zwar nicht alle habe brauchen können, die aber bei so manchen Stellen dennoch die Feile mir geführt haben. Du thätest mir einen Gefallen, wenn Du so wie es ist, sie an Papa schicktest und ihn auch um sein Urteil fragtest.
Ich habe mir vorgenommen, es vor
die Uebersetzung von Domaschnews Rede
zu setzen, schreib mir Deine Meynung darüber. Wenn Du es an Papa schickst, so laß es ja abschreiben. Gustelchen thut mir das wohl in einer Freistunde zu Gefallen. Wo nicht so schick mirs vorher selbst wieder
Dies Exemplar behalt ich für mich. Lies sie doch auch der Frau Obristin ja vor und schreib mir ihr Urteil darüber, so wie sie jetzt sind
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Am linken Rand, vertikal
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Wirst Du nicht die Geduld verlieren, heut nichts als Verse zu lesen. Sei versichert, daß meine Ader Dir wieder sehr lange Ruhe lassen wird.
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Am linken Rand, vertikal
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Provenienz
Kraków, Biblioteka Jagiellońska, Lenziana 1, II, Nr. 1; das Manuskript enthält zunächst das Gedicht „Empfindungen eines jungen Russen“, auf der letzten Seite dann den Brief an Johann Christian Lenz.