Moskau, 30. Oktober 1781
Der Brieftext wurde sekundär überliefert.
Jakob Michael Reinhold Lenz
Gerhard Friedrich Müller (Moskau)
LKB
Hochwohlgeborner Herr Staatsrath
Insbesonders hochzuverehrender Gönner und Wohlthäter!


Der von Ew. Hochwohlgebornen mir geschehene Vorschlag mich morgen beprüfen zu lassen, um eine Information in einem vornehmen russischen Hause zu übernehmen, verdient meinen ehrerbietigsten Dank, da Ew. Hochwohlgebornen mich mit Dero wirksamen Empfehlungen zu unterstützen versprechen.
Darf ich es aber wagen, Ew. Hochwohlgebornen vorher noch eine gehorsamste Bitte zu thun. Dieselben wissen, daß die eigentliche Absicht meiner Reise nach Moskau war, unter Dero Rath und Leitung die Geschichte des Vaterlandes (wofür ich Rußland halte) studiren zu können. Ich halte sie für ein unentbehrliches Stück von Erziehung, finde mich also noch nicht tüchtig nach meiner besten Ueberzeugung mich in ein Russisches Haus zu begeben, ehe ich wenigstens einige sichere Fortschritte in derselben gemacht, von denen ich hernach durch eigenes Studieren weiter kommen kann.
Sollte mein Aufenthalt in Dero Hause oder auch meine Führung in demselbigen Ew. Hochwohlgebornen oder Dero verehrungswirdigen Gemahlinn einige Beschwerde verursachen oder zu andern Unannehmlichkeiten und Mißvergnügen Gelegenheit geben: so bitte mir’s als ein Zeichen Dero Gewogenheit und Menschenliebe aus, mir dieses bekannt zu machen, da ich dann keinen Augenblick säumen will, Ihnen die Ursache Ihres Mißvergnügens aus dem Gesichte zu bringen.
Wollen Ew. Hochwohlgebornen aber noch ferner der Schuldherr meiner Erkenntlichkeit bleiben, für die ich freylich jetzt nur mit Worten Bürgschaft leisten kann, und mir wenigstens nur soviel Aufschub gönnen, daß ich nach Dero unschätzbaren Tabellen und andern gedruckten und ungedruckten Schriften die Russische Geschichte bis auf die neuern Zeiten mir einprägen kann, so werden Dieselben dadurch außer dem Dank meiner Eltern und aufrichtigen Freunde vielleicht auch noch den Beyfall erhabener edelmüthiger Gönner sich zu eigen machen und mich lebenslang bereit finden mich zu beweisen als Hochwohlgeborner Herr Staatsrath

Geneigter Gönner
Ew. Hochwohlgebornen
gehorsamster Diener

JMR Lenz.

M d. 30 8br. 1781.

Ich thue diese Bitte auch an Ew. Hochwohlgebornen Frau Gemahlinn und schmeichle mir, daß Dero Herr Sohn mir seine Fürsprache bei Ihnen beiderseits gleichfalls gönnen werde; da ich bisher schon von so vielen Proben Dero allseitiger Güte beschämt worden bin. Sollte ich im Stande seyn, Ew. Hochwohlgebornen oder Dero Herrn Sohn in der Zwischenzeit meines Aufenthaltes zu etwas brauchbar zu werden; so werden Ew. Hochwohlgebornen mich glücklich machen, wenn Sie mich davon benachrichtigen.
Provenienz
Archiv für Literaturgeschichte 5 (1876), S. 601f.